Schreibübung Dezember 2025
Darstellung von Gefühlen 10: Gemüt und Gemütslage von Figuren
In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder über Techniken gesprochen, wie sich Gefühle im literarischen Text darstellen lassen. Kein ganz leichtes Unterfangen, denn Gefühle sind vielfältig, und differenziert, die abstrakte Sprache jedoch einschichtig und vokabelarm.
Deswegen haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller Techniken entwickelt, um die Gefühle indirekt darzustellen. Projektion auf Körpersprache und Ausdruck gehören dazu wie literarische Techniken wie Dialoge oder erlebte Rede oder Innere Monologe.
Allen Darstellungen von Gefühlen liegt aber ein bestimmender Umstand zugrunde: Das ist die Gemütslage der Figur, die sich aus Charakter und aktueller Situation speist. Das Wort „Gemüt“ bezeichnet die Gesamtheit der geistigen und seelischen Kräfte eines Menschen, insbesondere die Empfindungen und die Gefühle - im Gegensatz zu Verstand und Intelligenz.
Die Gemütslage ist also eine Art von Stimmung, in der sich die Figur grundsätzlich befindet, die sich je nach Gemüt schnell oder langsam verändern kann. Nicht nur in einem Augenblick, sondern für einen längeren Zeitraum zwischen zwei emotionalen Ereignissen.
(Charakter hingegen ist etwas anderes, bezieht sich auf die festen, moralisch bewertbaren Eigenschaften eines Menschen, die sein Verhalten und Handeln prägen. Er tritt dann zutage, wenn auf eine literarische Figur Druck ausgeübt wird und hat mit dem Gemüt nur am Rande zu tun.)
Wenn wir Emotionen, Gefühle einer Figur beschreiben, die sie aufgrund eines äußeren Ereignis erlebt, dann müssen wir immer darauf achten, welches Gemüt die Figur hat und in welcher Gemütslage sie sich befindet. Es gibt verschiedene Einteilungen und Zuschreibungen wie „Sie hat ein sonniges Gemüt“ oder „Er ist immer so melancholisch.“ In der Einteilung von Clausewitz wird unter anderem ein phlegmatisches Gemüt von einem leicht reizbaren Gemüt unterschieden, es wird aber auch ein 'nur' regsames Gemüt benannt, d.h. die Gefühle überschreiten nie eine gewisse Stärke.
Am Beispiel der bekannten russischen literarischen Figur von Oblomow lässt sich das gut zeigen.
Sie hat ein ausgesprochen phlegmatisches Gemüt, lässt sich durch keine Emotionen aus der Ruhe bringen und entwickelt kaum Emotionen – als er sich aber verliebt, ändert sich die Gemütslage, er wird eher regsam. Als aber die Liebe und die bevorstehende Heirat ihm zu viel abverlangt, ändert sich wieder seine Gemütslage und das phlegmatische Gemüt gewinnt und er zieht sich zurück.
So ist neben all den Überlegungen zum Charakter der Figur auch wichtig, das Gemüt in die Darstellung mit einzubeziehen.
Welches Gemüt hat die Figur, wie ist die aktuelle Gemütslage, wie stark wird ihre Gefühlsintensität davon geprägt. Dann erst können wir die Gefühle in ihrer Stärke glaubhaft beschreiben.
In unserer Übung sollen Sie Gefühle differenziert beschreiben, so dass sie wirklich glaubhaft sind.
Übung:
Wählen Sie eine Figur aus einem Text aus, den Sie bereits geschrieben haben.
oder
erfinden Sie eine neue Figur, dabei können Sie Alter, Geschlecht, Beruf frei wählen.
Welches Gemüt hat die Figur: Ist es ein phlegmatisches, regsames oder reizbares Gemüt? Es gibt auch Menschen mit einem melancholischen, sonnigen, fröhlichem Gemüt...
Ein Schicksalsschlag trifft die Figur, eine Trennung: Entweder beruflich oder in einer Beziehung oder ein Todesfall. Beschreiben Sie nun die Gefühle der Figur,
Geben Sie der gleichen Figur ein anderes Gemüt und beschreiben Sie die Reaktion auf dasselbe Ereignis.
Mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen für eine gemütsvolle und friedliche Weihnachtszeit
Arwed Vogel