Schreibübung Oktober 2024
Kurzprosa 8: Die Kurzgeschichte der linearen Chronologie
Nachdem wir bereits die Kurzgeschichte des zentralen Ereignisses vorgestellt haben, beschäftigen wir uns in dieser Übung mit einer weiteren klassischen Form von Kurzgeschichte: Die Geschichte der linearen Chronologie.
Sie kann etwas länger sein, überschreitet aber nicht das Maß der Kurzgeschichte, das sich wohl zwischen zwei und acht Seiten einrichtet. Natürlich können Kurzgeschichten auch länger oder kürzer sein. Gerade die Kurzgeschichte der linearen Chronologie ist nicht an ein bestimmtes Längenmaß gebunden, sofern sie kompakt geschrieben ist und nur einen Spannungsbogen aufweist.
Auch in dieser Art von Geschichten gibt es keine Nebenhandlungen, aber eine Folge von Ereignissen, die aufeinander aufbauen. Wie in allen literarischen Texten hat die Figur ein aktives Bedürfnis, das möglicherweise kurz vor Beginn der Geschichte ausgelöst wurde, d.h. sie will etwas erreichen und sieht sich plötzlich mit Ereignissen konfrontiert, die sie daran hindern.
Sie lässt sich aber nicht daran hindern, sondern versucht weiter ihr Ziel zu erreichen, muss aber immer mehr Kraft aufwenden. Das nächste Ereignis lässt die Situation weiter eskalieren. Das dritte Hindernis ist noch schwieriger zu überwinden, wiederum wendet die Figur mehr Kraft auf. Oft ist das dritte oder das letzte Hindernis ein innermenschliches Ereignis, etwas was in der Figur selbst entsteht – Angst, Zweifel, Erkenntnis.
Bis zu fünf äußere Ereignisse können so eine Kurzgeschichte dramatisch steigern. Wenn es mehr werden, ist die kompakte Form der Kurzgeschichte nicht mehr gegeben und der Text wird breiter, ist nicht mehr von einem Spannungsbogen überwölbt. Die Kurzgeschichte entwickelt sich zu einer Erzählung oder einer Novelle, die anderen Gesetzmäßigkeiten folgt.
Insofern besteht auch bei dieser Form die Kunst, die Kurzgeschichte kompakt zu gestalten, in einem Erzählraum, der abgeschlossen ist, in einer linear ablaufenden Zeit, die kaum Unterbrechungen hat, sondern kontinuierlich durchläuft.
Das dramaturgische Grundschema sieht ungefähr so aus:
Einführung (meistens situationsbeschreibender Anfang), indem auch das aktive Bedürfnis der Figur erkennbar wird (machen nennen es auch „Want“)
1. äußeres Ereignis
Reaktion der Hauptfigur
Kurze Diskussion (mit sich oder jemand anderen) über die Frage, was sie tun soll
Beschluss weiterzumachen
Durchführung des Beschlusses
Scheitern oder Erfolg bei der Durchführung des Beschlusses
Derselbe Ablauf dann mit den 2. und 3. äußeren Ereignissen:
2. äußeres Ereignis
Reaktion der Hauptfigur
Kurze Diskussion über die Frage, was sie tun soll (mit sich oder jemand anderen)
Beschluss weiterzumachen
Durchführung des Beschlusses
Scheitern oder Erfolg bei der Durchführung des Beschlusses
Schließlich am Ende die Pointe, indem die Figur meistens auf ihren Ausgangszustand zurückgeworfen wird, all ihr Streben hat nichts oder kaum etwas bewirkt. Wenn die Figur ihr Ziel erreicht, entwickelt sich oft ein Gegenmoment, dass dieses Ziel in Frage stellt oder dazu führt, dass die Figur vom Erreichen ihres Ziels nichts hat oder es selbst in Frage stellt, weil es mit einer Einschränkung (Figur hat ihr Ziel erreicht, kann es aber nicht nützen) verbunden ist.
Erzählt wird die Kurzgeschichte der linearen Chronologie wie alle Kurzgeschichten mit einer klaren handlungsorientierten Sprache. Obwohl sich Innenperspektiven finden, wird diese Form der Kurzgeschichte meistens aus der Außenperspektive erzählt.
Übung:
Versuchen Sie eine Kurzgeschichte mit linearer Chronologie zu schreiben.
Dazu brauchen Sie:
eine Figur, die etwas in kurzer Zeit erreichen will
drei Hindernisse, welche die Figur am Erreichen des Ziels hindern können
Ordnen Sie die drei Hindernisse, um die Spannungsentwicklung optimal zu gestalten: Beginnen Sie mit dem kleinsten Hindernis, das größte kommt zum Schluss.
Versuchen Sie sich genau an das oben dargestellte Schema zu halten, wenn Sie noch wenig Schreiberfahrung haben.
Es mag auf den ersten Blick monoton wirken, entfaltet aber dennoch die gewünschte Wirkung.
Konzentrieren Sie sich auf einen genau beschriebenen Handlungsablauf. Verzichten Sie auf lange Beschreibungen. Die Kurzgeschichte ist eine knappe Form, die ihre Wirkung aus ihrer Kompaktheit gewinnt.
Viel Erfolg
Arwed Vogel
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