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Eine Übung pro Monat

 

Schreibübung Juni 2025


 

Perspektiven 7: Wechsel der Perspektivfigur


 

Wenn wir eine Geschichte aus der Perspektive einer einzelnen Figur erzählen, dann nennt man das Monoperspektive oder one-eye-Perspektive. Die Kamera befindet sich in Kopfhöhe und wir zeigen die Geschichte durch die Wahrnehmungen der Figur, schlüpfen in ihren Kopf, zeigen ihre Gedanken und Bewusstseinsvorgänge. Die Figur aus deren Perspektive wir schreiben wird zur Reflektorfigur, weil sie das ganze Geschehen reflektiert oder durch sie reflektiert wird.

 

Was passiert aber, wenn wir das Geschehen aus der Sicht zweier oder gar mehrerer Figuren zeigen wollen? Oft wird in den Kursen gefragt, ob ein Wechsel von Perspektivfiguren überhaupt möglich sei und wie man ihn gestaltet.

 

Früher gab es einen auktorialen starken Erzähler, der zwischen den verschiedenen Figuren die Perspektive steuerte. Da die Bewusstseinsdarstellung vor allem durch den Erzähler geschah, kam es gar nicht dazu, dass eine Figur zur Reflektorfigur wurde. Alle Figuren wurden vom Erzähler, der die Kamera führte in der Außenperspektive geschildert - die Gefühle der Figuren kamen im Erzählerbericht durch den Erzähler zur Darstellung.

 

Heute – ohne auktorialen Erzähler - in der personalen Erzählsituation müssen wir die Kamera selber führen.

 

Grundsätzlich ist es also möglich, die Perspektivfigur zu wechseln. Dieser Wechsel sollte aber nicht nur einmalig, sondern immer wieder durchgeführt werden, damit der Leser sich an die verschiedenen Perspektiven gewöhnt und versteht, dass es nicht nur eine Reflektorfigur gibt.

Dabei schwenkt die Kamera nicht nur zwischen den Figuren hin und her, sondern wird hinter sie gestellt, um das Geschehen aus ihrer Perspektive zu zeigen.

 

Hans blickte über den Tisch. Die Wanduhr über Madeleine zeigte zwölf Uhr. Madeleine sah bleich aus, müde, die Hand zitterte, in der sie ihre Karten hielt.

Madeleine legte einen König auf den Tisch und beobachtete Hans. Seine Augenbrauen hoben sich.

 

Das ist reine Außenperspektive, die durch die Blickrichtung und die Wahrnehmungsmöglichkeit der Figuren eingestellt wird. Dass Madeleine einen König auf den Tisch legte, kann auch Hans sehen. Dass sich seine Augenbrauen heben, aber nicht, deswegen der Zusatz, der die Perspektive einstellt: „und beobachtete Hans.“

 

Grundsätzlich ist es auch möglich, mehrere Reflektorfiguren in einem Text zu haben. Das gleiche Beispiel:

 

Hans blickte über den Tisch. Die Wanduhr über Madeleine zeigte zwölf Uhr, gleich würde sie schlagen. Madeleine sah bleich aus, müde, die Hand zitterte, in der sie ihre Karten hielt. Als ob sie etwas beunruhigen würde.

Madeleine legte einen König auf den Tisch und beobachtete Hans. Seine Augenbrauen hoben sich. Er hatte nichts gemerkt. Sie spürte, wie schon vor dem Glockenschlag sie sich zu verändern begann. Als würde die Haut von innen mit kleinen Nadelstichen durchstoßen. Sie legte die Karten verdeckt auf den Tisch und rieb ihren Unterschenkel. Warum ich, warum.

 

Hier werden die Bewusstseinsvorgänge von Hans und Madeleine jeweils aus ihrer Sicht geschildert. Dabei müssen aber zwei Momente beachtet werden:

 

  • die einzelnen Abschnitte sollten nicht zu kurz sein, da der Leser den Überblick verlieren könnte und der Text sehr unruhig wirken würde

  • die Übergänge in den Perspektivwechseln sollten gestaltet sein: Das kann man ganz ruppig machen und den Leser damit überraschen. Oder eben mit einem fließenden Übergang: In diesem Beispiel ist der König auf den Tisch eine Stelle, die von beiden Figuren wahrgenommen wird. Sie stellt ein Bindeglied dar. Man kann auch langsam die Kamera in der Außenperspektive auf den Körper des anderen zufahren lassen, bis zu dem Detail, dass nach dem Perspektivwechsel wieder aufgenommen wird.

 

Wir sehen, dass diese Perspektivwechsel möglich sind, und zudem Spannung erzeugen können, denn möglicherweise weiß Hans nicht, dass Madeleine sich gleich in einen Werwolf verwandeln wird (der Leser weiß es – es entsteht Suspense-Spannung) möglicherweise weiß Madeleine nicht, dass Hans ein Vampirjäger ist, (der Leser weiß es nicht, noch nicht – es entsteht ein Überraschungsmoment ein Umbruch, wenn Hans seinen Pflock zückt - Surprise-Spannung). Es bleibt aber insgesamt spannend, weil niemand weiß, ob Pflöcke gegen Werwölfe helfen (Mystery-Spannung).

Aber jetzt beginnt erst der Sommer und für solche Geschichten ist ja gar kein Platz, deswegen ist die Übung ganz anders (auch dramatisch) aber eben sommerlich angelegt.

 

 

Übung

 

Äußere Handlung:

 

Eine Figur im Wasser kämpft um das Überleben, vom Boot wirft ihm jemand einen Rettungsring zu. Die Figur im Wasser greift danach.

 

Übungsschritte:

 

  1. Gestalten Sie den Perspektivwechsel zuerst rein äußerlich ohne Reflektorfiguren, aber mit einem fließenden Übergang.

  2. Gestalten Sie den Perspektivwechsel mit einer Reflektorfigur, die andere wird ausschließlich in der Außenperspektive geschildert.

  3. Gestalten Sie den Perspektivwechsel, indem beide Figuren Reflektorfiguren sind. Versuchen Sie dabei zusätzliche Spannungen zu erzeugen, indem Sie Informationen aus der Sicht der Figuren geben (die Figuren kennen sich vielleicht), die Motivationen und Interessen zeigen und dem Leser ein anderes Bild vermitteln, als von außen zu sehen ist.

 

 

Herzliche Grüße

 

 

Arwed Vogel

 

 

 

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