Schreibübung Juli 2024
Der erzählende Dialog 13: Dramaturgische Anwendung 2:
Die Aktivität der Figuren
Eine weitere weitgehend unbekannte Aufgabe des Dialogs im erzählenden Text besteht darin, die Aktivität literarischer Figuren darzustellen.
Hierzu schauen wir uns noch einmal kurz den dramaturgischen Ablauf eines literarischen Textes an, der auf einer Geschichte mit Handlungsablauf beruht.
Jede Figur hat ja ein aktives Bedürfnis, einen Plan und versucht diesen umzusetzen. (Flucht, Suche oder ähnliches).
Der Ausführung des Plans stellen sich Hindernisse in den Weg, äußere Ereignisse, mit denen die Figur nicht rechnet. Sie reagiert emotional, diskutiert das Geschehene und fasst einen Beschluss.
Der Weg zu diesem Beschluss wird auch oft in einer Diskussion durch einen Dialog gelöst.
Hat die Figur einen Beschluss gefasst, so versucht sie ihn umzusetzen.
Dies kann nur durch Aktivität geschehen: Entweder durch Handlung oder durch einen Dialog.
Und hier setzen unsere Überlegungen an:
Die Art und Weise, wie die literarische Figur ihren Beschluss umsetzt, charakterisiert die literarische Figur in ihrem Aktivitätsgrad. Dabei entscheidet sich auch gleichzeitig, ob es der Figur gelingt, ihren Beschluss umzusetzen. Das ist wiederum für die weitere Handlungsentwicklung von Bedeutung.
Dabei kann man den Aktivitätsgrad der Figur mit allen denkbaren Zwischenstufen in hoch, mittel und niedrig einteilen.
Einen hohen Aktivitätsgrad haben alle Figuren, die der Auffassung sind, die Welt und ihre Bestimmung durch ihr Handeln und Sprechen verändern zu können.
Figuren mit mittlerem Aktivitätsgrad versuchen ihre Ziele umzusetzen, verzetteln sich aber in ihr Handeln, verstricken sich in widerständige Umstände und kommen nicht voran. Es ist der häufigste Typ von Aktivitätsgrad, den wir in der zeitgenössischen Literatur finden.
Figuren mit niedrigem Aktivitätsgrad befinden sich in einer Situation, aus der sie sich kaum befreien können. Sie träumen von Rettung, von Veränderung, aber ein tatsächlicher Versuch, die Situation zu verändern findet nicht statt. Das betrifft Figuren in Gefängniszellen oder Opfer von Naturkatastrophen oder Figuren, die sich eben in ausweglosen Situationen befinden.
Je nachdem wie die Figur versucht, ihren Beschluss umzusetzen, kann an ihrem Handeln der Leser ihren Aktivitätsgrad ablesen und Rückschlüsse auf ihr weiteres Verhalten und Vorausdeutungen auf die Handlung vornehmen.
Am nächsten Tag stand er bereits vor ihrer Haustür. Als nicht sofort auf sein Klingeln geöffnet wurde, klopfte er gegen die Haustür, zuerst leise, dann immer heftiger, bis hinter der Tür endlich eine Stimme zu hören war.
„Nur keine übertriebene Eile!“
„Doch doch“, sagte er schnell, „es kommt jetzt darauf an, und was nicht gleich erledigt ist, erledigt sich nie.“
Ohne Zweifel sehen wir hier eine Figur mit hohem Aktivitätsgrad, die ungeduldig die Sache vorantreiben will.
Eine Figur mit mittlerem Aktivitätsgrad, würde im Regen warten und gelegentlich noch einmal sanft klingen, bis sie so nass geworden ist, schließlich keinen Einlass mehr erhält, wenn ihr endlich geöffnet wird.
Eine Figur mit niedrigem Aktivitätsgrad würde derweil noch bei sich zu Hause sitzen und überlegen, ob sie den Weg auf sich nehmen sollte.
Die verschiedenen Aktivitätsgrade spiegeln sehr häufig das Weltbild des Autors und auch die Zeit wieder, in der eine Geschichte spielt. Figuren mit hohem Aktivitätsgrad finden wir heute weit seltener in zeitgenössischer Literatur als zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Weil sich die Einstellung des Menschen, die Kultur, die Umwelt geändert hat, ihre Rolle in der Gesellschaft geändert hat. Unsere Aktivitäten heute sind vielmehr vernetzt und von anderen Menschen abhängig, deswegen haben wir eher diesen mittleren Aktivitätsgrad und können allein unsere Ziele kaum mehr erreiche
Dennoch gibt es auch in unserer Zeit Figuren mit allen Aktivitätsgraden und es lohnt sich auszuprobieren, wie dieser Aktivitätsgrad im Dialog darstellbar ist.
Übung:
Eine Figur beschließt einer anderen Figur einen Heiratsantrag zu machen, obwohl er mit widerständen, mglw. mit einer Ablehnung rechnen muss. Beschrieben Sie die Szene mit einem Dialog und einer Figur mit hohem Aktivitätsgrad.
Ein Detektiv sitzt in seinem Büro und bekommt einen Auftrag. Leider hat dieser Detektiv nur eine mittlere Aktivität. Das wird deutlich, als er die ersten Arbeitsschritte mit seinem Gehilfen bespricht.
Drei Menschen sind in Haus eingesperrt. Alle drei haben unterschiedliche Aktivitätsgrade und sie unterhalten sich darüber, wie sie aus dem Haus entkommen können.
Viel Vergnügen bei der aktiven literarischen Arbeit
Arwed Vogel
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