Schreibübung April 2025
Lebendiges Erzählen 2:
Nähe und Distanz - Wie stark ist der Erzähler?
In der heutigen Schreibübung wird es etwas komplizierter, weil wir uns mit der dynamischen Position des Erzählers beschäftigen. Ein wichtiges Moment, das zu einem guten Text einiges beitragen kann. Denn Bewegung ist ein wichtiges Prinzip, um literarische Sprache zu gestalten. Damit das Erzählen lebendig bleibt, muss es beständig in Bewegung sein wie ein schlagendes Herz pumpt, schneller, langsamer, je nach den Erfordernissen des Körpers und seiner Bewegungen.
Nähe und Distanz bedeutet, sich zu überlegen wie stark der Erzähler im Text auftritt oder wie sehr er sich aus dem Text zurückzieht, um die Bühne frei zu machen für das Handeln der Figuren.
Würden wir den Erzähler kaum vorkommen lassen, so wie es in Kurzgeschichten oft der Fall ist, würde ein Roman am Ende wie ein ausformuliertes Drehbuch ausschauen. Der Erzähler vermittelt die Welt durch seine Sprache, seine Stimme, die Auswahl dessen, was er dem Leser zeigt. Ist er jedoch beständig und stark präsent, so hätten wir eine sehr eindimensionale Stimme, die nur berichtet, mitteilt, kommentiert und den Figuren keinen Platz lässt, sich selbstständig zu entwickeln.
Show and tell, sollte es besser heißen statt show don't tell.
Das können wir in allen Erzählsituationen erleben. Wir wollen es aber hier in der personalen Erzählsituation durchspielen. Eigentlich gibt es in der personalen Erzählsituation keinen Erzähler, sondern eine Erzählerfunktion, die wie eine Kamera funktioniert. Meistens kommt es jedoch in der personalen Erzählsituation zu einer Auktorialisierung. Dies kann durch Raffung geschehen, aber auch durch Bewertungen der Situation aus der Sicht einer Figur ohne dass ihre Gedanken direkt wiedergegeben werden. Hier erstmal eine personale Beschreibung ohne starke Erzählerpräsenz.
Ich freue mich über Hanna, dachte sie und nahm den Blumenstrauß in die Hand. Immer freue ich mich über sie, seit Jahren schon ist sie so eine gute Freundin, dachte sie. Da merkte sie, dass sie an gar nichts anderes mehr, als an Hanna dachte.
Vergleichen Sie:
Mit dem Blumenstrauß in der Hand konnte sie ihre Gedanken nicht mehr von Hanna lösen, wie wichtig Hanna ihr war, was für eine gute Freundin sie wäre, dachte sie immer wieder, die ganze Zeit über.
In der unteren Variante werden die Gefühle indirekter dargestellt, aus einer größeren Distanz. Sie werden zusammengefasst und nicht direkt und unmittelbar ausgedrückt wie in der oberen Variante. Deren letzter Satz hat aber schon etwas mehr Distanz als die direkten Gedanken davor.
Als Faustregel gilt, dass der Erzähler stärker wird, wenn wir das Gefühl haben, dass wir dem Leser direkt etwas erzählen. Der Erzähler wird schwächer, wenn wir das Geschehen wie auf einer Bühne nur mit dem darstellen, was man sehen, riechen, hören, schmecken kann, also äußeren sinnlichen Wahrnehmungen und den direkten Gedanken der Figur.
Nicht die eine, nicht die andere Erzählweise ist falsch oder zu bevorzugen. Wir müssen lernen in entsprechenden Situationen den Erzähler sprechen zu lassen oder die Figuren selber zu Wort kommen zu lassen. Ein beständiger rhythmischer Wechsel führt zu einem lebendigen abwechslungsreichen Erzählstil.
Übung:
Versuchen Sie in folgender Übung die Erzählerdistanz zum Geschehen zu verringern und zu erweitern:
1. Suchen Sie sich eine Figur zu der Sie als Erzähler die Distanz vergrößern und verringern. Das soll eine Figur sein, die Ihnen als Mensch nicht sonderlich gleicht. Finden Sie eine konfliktreiche Situation, in der die Figur steckt und die sie lösen muss (bspw. hat sie jemanden verraten oder etwas erzählt, was sie nicht erzählen sollte)
2. Gehen sie am Anfang in die mittlere Distanz und beschreiben Sie die Gefühle ihrer Figur so, als ob Sie einem Bekannten (sozusagen die Ersatzperson für den Leser) von Eheproblemen eines guten Freundes erzählen.
3. Während ihre Figur sich in eine Situation manövriert, die nicht günstig für sie ist, nähern Sie sich ihr mit der Kamera und sind ganz nah an ihr dran, als sie eine falsche Entscheidung trifft.
4. Nachdem die Situation vorbei ist, erhöhen Sie die Distanz zu der Figur und berichten dem Bekannten (oder vorgestellten Leser) wie sich die Figur vorstellt, was sie jetzt für Konsequenzen zu erwarten hat. Erhöhen Sie die Distanz noch ein wenig mehr und berichten als Erzähler von Ihrer Meinung, die Sie als Erzähler von der Figur haben.
5. Dann nähern Sie sich langsam wieder der Figur, die Anstalten macht, ihr Problem zu lösen, indem sie zu handeln versucht. Erhöhen Sie die Anzahl der geschilderten sinnlichen Eindrücke und Details. Erzählen Sie zeitdeckend und ohne Reflektionen.
Das ist nicht ganz leicht - probieren sie es einfach aus.
Mit herzlichen Grüßen
Arwed Vogel
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