Schreibübung November 2024
Literarischer Herbststoff:
Mit Geistern feiern
Halloween ist gerade vorbei, aber der November ist traditionell eine Zeit, in der Nebel und Dunkelheit und unheimliche Momente die Landschaft und unser Empfinden prägen. Deswegen
gibt es in dieser Übung eine Anleitung, wie eine Gespenstergeschichte zu schreiben ist.
Wir wählen das Thema Halloween, das dramaturgische Muster ist aber auf alle anderen phantastische Geschichten zu übertragen.
Grundlage von phantastischen Geschichten ist die Zwei-Welten-Theorie von dem Literaturwissenschaftler Todorov. In der Phantastik treffen eine diesseitige und eine andere, meistens jenseitige Welt
zusammen. Das unterscheidet Phantastik grundlegend von Fantasy, dem magischen Realismus und auch dem Märchen.
Bei einer Gespenstergeschichte ist der langsame Spannungsaufbau von wesentlicher Bedeutung. Neben einem sinnlich-intensiven und atmosphärischem Schreibstil müssen wir den Leser langsam an den Schrecken heranführen, denn Horror entsteht aus einer spannungsreichen Erwartung.
Deswegen besteht eine Gespenstergeschichte aus vier Abschnitten:
1. Vorabbenennung des Schreckens zur Beglaubigung des Erzählten
Am Anfang wird dem Leser klargemacht, dass er sich in einer Gespenstergeschichte befindet. Das kann der auktoriale Erzähler in der klassischen Literatur machen (Lieber Leser, was in dieser Geschichte passiert seltsam und schrecklich, aber wahr...) oder durch eine Rahmenhandlung oder moderner durch Wahrnehmungen der Figuren, Anspielungen auf die seltsame Umgebung. Dabei passiert aber noch nichts.
2. Idyllisierung und erste Schritte ins Dunkel
Im zweiten Schritt sehen wir die Figur noch einmal unbedarft in die Situation hineingehen. Dem Leser wird hier noch einmal die reale Welt gezeigt - wie schön sie ist oder sein kann.. Dann aber passieren einige seltsame Dinge, die unsere Figur nicht einordnen kann. In der klassischen Gespenstergeschichte kann das der Blutfleck sein, der sich nicht wegwischen lässt.
3. Schlimme Momente
Nun geht es zur Sache: Die Schrecken nehmen zu und wachsen sich zu einer ernsten Bedrohung aus. Unsere Figur wird oft isoliert (Einsamkeit ist eine Urangst) und verliert ihre Bewegungsfähigkeit, findet sich irgendwo eingeschlossen, die Gefahr nähert sich, sie kann nicht fliehen.
4. Das Unheil ist da
Es kommt zum Kampf zwischen den dunklen Mächten und der Figur. Dabei geht es zur Sache und nur durch ein Wunder entkommt die Figur, oft eher zufällig, als durch eigene Kraft – die Mächte der Finsternis sind sowieso stärker, insofern brauchen wir hier keine Heldin oder Helden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten.
Meistens endet ein Kampf in einer Gespenstergeschichte oder phantastischen Geschichte nicht mit dem Tod der Hauptfigur. Sie entkommt, muss aber auch einsehen, dass es Dinge gibt, die schrecklicher und stärker sind als sie und ihre Welt...
Selbstverständlich gibt es viele Variationen des oben vorgestellten Musters und das ist gut so. Aber die Grundzüge werden wir wohl in den meisten Geschichten finden.
Übung:
Stellen Sie sich vor, Sie sind bei den neuen Nachbarn zu einer Halloween-Party eingeladen. Ehrlich gesagt, Sie haben keine Lust, aber Sie wollen die Nachbarn auch nicht vor dem Kopf stoßen. Sie
verkleiden sich ein wenig und dann machen Sie sich auf, hinüber ins Haus, das Ihnen bei der Beleuchtung und im Nebel unheimlicher als sonst vorkommt.
Sie treffen auf der Straße noch Freunde mit ihren Kindern, die unterwegs sind, Süßigkeiten einzusammeln, dann klingeln Sie bei den Nachbarn.
Die Tür wird Ihnen geöffnet, die Nachbarn, die Sie noch gar nicht richtig kennen, sehen Sie gar nicht, nur war bei dem, der Ihnen die Tür geöffnet hat, seltsamerweise gar kein Gesicht unter der Kutte
zu sehen...
Fröhliches Gruseln wünscht
Arwed Vogel
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