Schreibübung September 2024
Figurenentwicklung 4:
Topos, Variation und Individualisierung bei Hauptfiguren
Figuren brauchen etwas, was der Leser bereits kennt, wenn er zu lesen beginnt, damit er die Figur in seine Welt einordnen kann. Er knüpft Erfahrungen oder Vorstellungen an die Figur, die er durch
die Medien oder in der Realität gewonnen hat. Ganz gleich ob es sich um einen Detektiv oder einen russischen Soldaten oder eine Zahnarztgattin handelt.
Literarische Figuren werden also nicht vollständig frei erfunden, sondern beziehen sich immer auf Menschenbilder, das sind typisierte Vorstellungen, die sich eine Gruppe von Menschen von anderen
Menschen macht.
Wir wissen, dass alle Detektive der Literatur zumindest einigermaßen bei Verstand sind, um die Fälle kraft ihrer geistigen Fähigkeiten zu lösen. Das ist der Topos und meistens – zumindest in der
klassischen Detektivgeschichte – sind die Methoden, mit denen sie arbeiten, auch sehr ähnlich.
Das ist aber längst nicht alles. Einer lebendigen faszinierenden Figur müssen wir etwas geben, was ungewöhnlich, besonders, überraschend ist, damit sie für den Leser interessant wird.
Das lässt sich an der Detektivgeschichte, in der inzwischen Detektive zu Schafen, Hunden oder Schreibmaschinen mutiert sind, ganz deutlich zu zeigen. Das ist die eine Form von Variation, mit der
immer neue Figuren entstehen, obwohl das Grundmuster dasselbe bleibt.
Früher hat es gereicht, aus dem männlichen Detektiv eine Frau zu machen (Agatha Christies großes Verdienst) oder einen Pfarrer oder einen Rosenzüchter. Später haben diese Figuren an Brutalität
zugelegt, waren dann je nach Menschenbild Alkoholiker oder nierenkrank, hatten zumindest Eheprobleme.
Auch im Kinderbuch veränderten sich die Figuren, sie passten sich neuen Realitäten an, hatten Angst, waren weniger mutig als früher (die Jungen) oder eben mutiger (die Mädchen).
Diese Art von Variationen reichen aber meistens nicht aus.
Viele Figuren haben zusätzlich eine Fähigkeit, die aus ihnen eine ungewöhnliche, ganz besondere Figur macht, die Dinge tut, die andere eben nicht tun konnten oder wollten.
Genau dieser Punkt macht Figuren für Leser interessant. Das Besondere, die individuelle Variation zu schaffen. James Wood zeigt dies in seinem Buch „Die Kunst des Erzählens“ anhand des Films „Liebe
1962“. Der Börsenmakler, der viel Geld verloren hat, durchkreuzt unsere Vorstellungen, unsere Menschenbilder. Er reagiert ganz anders, als wir von einem Menschen erwarten, der viel Geld verloren
hat.
Das schafft Sympathie, zumindest Interesse, selbst bei Figuren, deren Handeln wir nicht gutheißen können, es schafft Figuren mit Tiefe und Profil, es schafft Spannung, da wir nicht ganz sicher sein
können, wie die Figur in der nächsten Szene reagiert.
Übung:
1. Finden Sie in der heutigen Übung Variationen, besondere Momente für typisierte Figuren:
1. Ein kleiner Angestellter verweigert seiner Frau Geld für den Friseur, weil er geizig ist. Zudem hat er keine Zeit, sich auf eine Diskussion einzulassen, er hat einen wichtigen geschäftlichen
Termin. Er verlässt das Haus, setzt sich in sein Auto, um ins Büro zu fahren
2. Eine ältere wohlbeleibte Dame mit altmodischem Hut verzehrt in einem gutbürgerlichen Café ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Plötzlich passiert in dem Café etwas.
Schreiben Sie jeweils ein oder zwei kurze Szenen. Stellen Sie die Figur in ihrer typisierten Form einen Absatz lang vor, dann passiert etwas und die Figur handelt in unerwarteter Weise.
Wenn Sie mehrere Varianten gefunden haben, fragen Sie Ihre Freunde, welcher Text am besten gefällt.
2. Überprüfen Sie schließlich Ihre bereits geschriebenen Texte, ob ihre Figuren, zumindest die Hauptfigur etwas Besonderes aufzuweisen hat.
Mit herzlichen Grüßen
Arwed Vogel
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Arwed Vogel
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Bernhard Horwatitsch
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