Literaturprojekt
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Archiv der Streifschüsse 2019

wann immer nötig (im Schnitt einer pro Woche)

 

schnell und aus der Hüfte geschossen

 

 

Streifschuss vom 31. Dezember 19

 

Anlass:

Ein etwas anderer Jahresrückblick

 

 

52 Einlassungen zum Jahr 2019

 

Es gibt mehr Philosophien als Joghurt-Sorten. Joghurt ist deutlich nützlicher. Doch im Gegensatz zum ökonomischen Grenznutzen des Joghurts, ist die philosophische Erkenntnismöglichkeit unendlich dilatierbar. Damit ist beinahe schon belegt, dass die bedeutungslosen Nutzlosigkeiten exponentiell wachsen im Verhältnis zu bedeutendem Nutzen. Beschäftigen wir uns also nun mit einer etwas weniger bedeutungslosen Nutzlosigkeit: dem Jahresrückblick. Hier in Form der alten Fackel des pro domo et mundo.

 

Die Liste:

 

Die Verwundbarkeit unserer Politiker ist wohltuend.

 

Die weltweiten Schulden betragen 244 Billionen Dollar. Das sind 318 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung.

 

Heute im kapitalistischen Paradies heißt es allerorten „Sei gefälligst glücklich du Arsch“

 

Die künstliche Intelligenz ist unbarmherzig und mit einem christlichen Weltbild nicht vereinbar.

 

Innerhalb des Schreibens jederzeit die Blickrichtung zu ändern und gerade etwas nicht zu wollen ist Voraussetzung für einen guten Text.

 

Überall sehe ich sie mit ihren Smartphones, ihren Konsumartikeln herum laufen und gleichzeitig haben sie das Volksbegehren gegen das Bienensterben unterschrieben.

 

Für Lesen und Schreiben werden völlig unterschiedliche Hirnfunktionen eingesetzt.

 

Ich habe noch nie jemanden verführt.

 

Aber ich fühlte mich so und ich fühlte mich abgelehnt. Dabei habe ich sie abgelehnt.

 

Veröffentlichen. Rechtlich nennt man es „Einrückung“, was ein militärischer Begriff ist.

 

Die Versklavung der Kunst durch die Öffentlichkeit, welche die Kultur als militärische Einrichtung der Zivilisten begreift und die Protagonisten als Soldaten instrumentalisiert.

 

Seit Jahrtausenden schützte sich der Mensch vor der Natur.

Nun muss der Mensch die Natur vor dem Menschen schützen.

 

Simmel: Arm ist, wer von den Nicht-Armen Unterstützung erhält.

 

Man könnte eine schöne Welt schaffen ohne Arme.

 

Dass der Mensch Teil der Natur ist, wurde eigentlich erst mit Linne allgemein.

 

Goethe war eine isolierte Erscheinung. Thomas Mann ist eine Familienangelegenheit. Die Nähe der beiden Schriftsteller ist inszeniert.

 

Das Problem bin nicht ich, das Problem ist das Sein selber in dem ich  bin.

 

Kann es sein, dass ich die Leute oft für klüger halte, als sie es sind? Oder bin ich nun eitel?

 

Weltoffenheit, Toleranz, dem Frieden verpflichtet, die Bundeswehr stärken, Digitalisierung, Wachstum, Erneuerung, Umweltbewusstsein. Wir werden erschlagen mit solchen Worten.

 

Greta Thunberg: sie sieht eher aus als wäre sie erst 12 und nicht 16. Was für eine Kinderpower!

 

Jens Spahn mein lieber Schwan da hat er was getan.

 

Was ist das überhaupt? Klima? Rein sprachlich kommt es aus dem altgriechischen und bedeutet nichts weiter als „Neigung“.

 

Die Politik des inneren Kreises kann die Wirklichkeit nicht mehr erkennen.

 

Ein Nazi bleibt ein Nazi, auch wenn er in seiner Sprache darauf achtet niemanden zu diskriminieren.

 

Ich bin mit überhaupt nichts verwurzelt.

 

Das hierarchische Gebäude dieser Welt ist völlig falsch.

 

Alle waren sie peinlich, ehe das Amt ihnen zu einer unverdienten Würde verhalf.

 

Die anderen sind die anderen.

 

Ich arbeite und produziere. Einen Rest von Wahrscheinlichkeit kann ich ausklammern. Es ist Bestimmung. 

 

Tausende von Schülern mit Plastikregenschirm und Smartphone auf der Straße, unter ihren Füßen Teer, links und rechts Konsumpaläste, alles vergeblich.

 

Angst vor der Arbeitslosigkeit haben die, die eine Arbeit haben. Bei Vollbeschäftigung ist damit die Angst vor Arbeitslosigkeit rein mengenmäßig am Größten.

 

Der nachdenkende Mensch fühlt die Gefahr und bekämpft sie dann mit rationalen Mitteln.

 

Wer sich der Illusion hingibt, man könnte auf einen gläubigen Nationalsozialisten zugehen, versteht nicht, dass es sich beim Nationalsozialismus um eine Quasireligion handelt und nicht um eine politische Ansicht.

 

Immerhin werde ich als Lehrer für meine Charakterschwäche der Rechthaberei bezahlt.

 

Selbsterkenntnis ist ein Witz, weil sie immer zu spät kommt.

 

Da ich weiß, was ich nicht weiß, kann ich jetzt nachsehen.

 

Meine Oberflächlichkeit kreuzt sich mit meiner gespielten Innerlichkeit.

 

Alles Bisherige von mir: nicht tief genug im Angesicht des Todes.

 

Wer verlässt hier eigentlich wen? Da ich zurück bleibe? Der Tod hat Wucht.

 

Geld und Sex sind die letzten Reste einer aussterbenden Spezies.

 

Und die Tiere? Fressende und sich fortpflanzende Maschinen.

 

Die Vernunft ist eine große Enttäuschung.

 

Ich könnte mich leichter mit einer Theologie abfinden, als mit dieser überall herrschenden Gier.

 

Wenn man jemanden nicht mag, kann man ihn auch nicht verstehen.

 

Gehen wir mal von 100 gelebten Jahren aus, dann sind 90 Jahre davon pure Redundanz.

 

Die bürgerliche Familie wurde vom Kapitalismus nachhaltiger zerstört als es der Sozialismus je gekonnt hätte.

 

Sich schlecht fühlen ist falsch. Angst haben ist falsch. Fühl dich gut und sei mutig. Jetzt fühlen wir uns auch noch schuldig.

 

Zwei Gesichter sah man ständig. Boris und Donald beherrschten dieses Jahr wie sonst niemand die deutsche Presse. Zwei Spalter und Mauerbauer.

 

Mir erscheint das Volk selbst schon als eine Fälschung. Es existiert nicht wirklich.

 

Die Menschen brauchen ihren Aberglauben, ihre Totems, Zaubereien und all diesen Unfug, der ihnen den Schrecken nimmt vor der abstrakten Brutalität eines einzigen höheren Prinzips.

 

Es gibt Leute die machen Bücher, es gibt Leute die halten Bücher und es gibt Leute die handeln mit Büchern.

 

Morgen muss ich aufräumen und putzen. Das ist unvermeidlich.

 

#Ende

 

 

 

Streifschuss vom 24. Dezember 19

 

Anlass: Die vielen unsichtbaren Kräfte der Wohltat

 

Kraftlose Weihnachtsansprachen

 

Wie jedes Jahr bekommen all die unterbezahlten oder gar nicht bezahlten Reproduktionskräfte Deutschlands ihre Motivationsspritze. Keine Weihnachtsansprache geht mehr, ohne die Pflegekräfte zu erwähnen. Aber statt eines feuchten Zungenkusses vom Präsidenten wünscht sich die Pflegekraft mehr Wertschätzung im Alltag. Pflegekräfte erleben oft das Gegenteil: Eine Mischung aus Mitleid und Verachtung. Mitleid, weil sie so wenig verdienen. Verachtung, weil sie es verdienen. Da schwingt oft auch Furcht mit. Furcht davor, diesen Menschen, die so wenig verdienen ausgeliefert zu sein. Pflegekräfte, Feuerwehrkräfte, Lehrkräfte, Erziehungskräfte und Polizeikräfte. Es sind viele starke Kräfte mit kleinem Konto. Sie werden in Weihnachtsansprachen präsidial gebauchpinselt und dann das ganze weitere Jahr wieder vergessen. Denn da muss sich der Präsident um wirklich wichtige Dinge kümmern. Um andere Präsidenten.
Ein Schlüsselerlebnis hatte ich bei einer Weihnachtsfeier für Lehrkräfte. Es waren hauptsächlich Lehrer für Buchhaltung anwesend. Eine blondierte und von sich selbst überzeugte Buchhaltelehrerin fragte mich, was ich unterrichte. „Pflegekräfte“ sagte ich. Sie winkte sofort ab. Sie hatte ihr Bild von den Pflegekräften. Von denen wollte sie nicht gepflegt werden, Pflegekräften nicht ausgeliefert sein. Wie schon Mark Twain sagte, schlagkräftig ist man immer erst 24 Stunden danach. Klar will man sich seinen goldenen und wertvollen Arsch nicht von Menschen wischen lassen, die nur den Mindestlohn dafür bekommen. Lieber lässt man sich von hochbezahlten Spekulanten über den Tisch ziehen. Das ist aller Ehren wert. Steinmayer fordert wie im Grunde jeder Präsident seit Jahren Solidarität. Eine paradoxe Botschaft, denn mit jeder Weihnachtssolidaritätsaufforderung (so ein Kompositum gibt es auch nur im Deutschen) sinkt die wirkliche Solidarität exponentiell zur präsidialen Aufforderung. Jetzt, wo uns allen mehr und mehr die Felle wegschwimmen, jetzt, wo sogar die Natur (ein altes Bollwerk des Seins) seinen Geist aufgibt, denken immer weniger Menschen an die anderen Menschen. Immer mehr sind sich selbst am Nächsten. Und im gegenteiligen Verhaltensquadrat wird von Nächstenliebe geschwärmt. In diesem Sinne gebe ich hier die schönste Wohltätigkeitsrangordnung der Welt wieder von dem mittelalterlichen Denker Maimonides, aus seinem „Führer für Ratlose“:

 

ACHT STUFEN DER WOHLTÄTIGKEIT

Die allerhöchste Stufe:
Dem Bedürftigen die Möglichkeit geben, sich selbstständig zu ernähren.

Die zweithöchste Stufe:
Wohltätig sein in einer Weise, dass der Spender und der Bedürftige nicht voneinander wissen.

Die dritthöchste Stufe:
Der Wohltäter weiß, wem er gibt, aber der Arme erfährt nicht den Namen des Spenders.

Die vierthöchste Stufe:
Der Gebende kennt nicht den Namen des Bedürftigen, aber dieser kennt den Spender.

Die fünfthöchste Stufe:
Geben, bevor man gebeten wird.

Die sechsthöchste Stufe:
Geben, nachdem man gebeteten wurde.

Die siebthöchste Stufe:
Zwar nicht ausreichend geben, aber dennoch mit Freundlichkeit.

Die unterste Stufe:
Mit Unfreundlichkeit geben.

 

Die Schönheit dieses Dalālat al-Ḥā’irīn (Lehrer der Beschämten) ist bis heute unerreicht. Und es beschämt bis heute.

Streifschuss
vom 23. Dezember 19

 

Anlass: Der Tod ist das Ende des Lebens (Wikipedia)

 

Voraus zu denken ist nie zu Ende gedacht

 

Was den Tod angeht, bin ich noch etwas unentschieden. Denn viele Menschen machen es sich zu leicht. Sterben einfach. Tod sein lässt so vieles unerledigt. Andererseits hat man auch den Eindruck, dass man im Leben nie fertig wird. Das Leben erledigt sich nie. Jeder stirbt vor der Zeit. Und dann haben die Lebenden noch mehr Arbeit. Im Schnitt kommen mehr dazu, als gehen. Daher ist Sterben auch ein wenig Platz machen. Wohnungen werden frei, Arbeitsplätze, Güter werden neu verteilt und Posthumus gedeiht. So ist der Tod human. Die viele Arbeit die der Tote hinterlässt wird auf noch mehr Schultern verteilt und diese Schultern drückt es bald auch ins Erdreich zurück. Dieses Kommen und Gehen ist meist verwirrend. Wer ist noch da? Wer schon weg? Immer häufiger irre ich mich. Der ist schon tot, sage ich. Der lebt noch. Dabei ist es andersrum. Und während ich noch grüble ändert sich alles wieder. Kaum hat man sich eingestellt, stirbt der Mensch. Der Mensch ist obsoleszent. Und keine Versicherung der Welt behebt den Schaden. Der Friedhof ist auch kein Ort des Recycling. Obgleich die Zahl der zurückgelassenen Implantate zu einem erheblichen Anstieg von Sondermüll führt. Misst sich mein Leben an der Anzahl derer, die ich schon überlebte? Und wer zählt dann meine Leiche auf sein Konto? Wenn mehr leben, sterben trotzdem nicht weniger. Vielleicht sogar mehr? Was sagt der Nationalökonom zur Todesbilanz? Die Überreste einsamer Großstädter, mumifiziert in einem Hochhausappartement liegend oder sitzend werden von ermittelnden Beamten entsorgt, ein entfernter Verwandter hört zum ersten Mal von seinem verstorbenen Großonkel und muss die Beerdigung bezahlen. Tausende nutzlose Gegenstände werden im Lastwagen abtransportiert und auf den Müll gekippt. Wüsste man den eigenen Todestag, könnte man sich noch selbst drum kümmern. Es ist ein Glück, dass eine Leiche sich nicht schämen kann. Insofern ist der Tod schamlos. Allen peinlich die noch leben liegt die Leiche frivol herum inmitten seines Konsummülls. Amazon sollte verpflichtet werden, einen Teil der Entsorgungskosten zu übernehmen. Andere wieder werden steinalt. Gerade die Reichen, die viel vererben könnten. Das erfordert viel Geduld bei der jüngeren Verwandtschaft. Der Tod entzieht sich einer rationalen Beurteilung. Der griechische Philosoph und Hedonist Epikur meinte: Wenn wir sind ist der Tod nicht. Wenn der Tod ist, sind wir nicht. Warum darüber reden? Da ist was Wahres dran. Aber auch nur dran. Ganz wahr ist es auch nicht. Ich kann mich zwar nicht selbst tot vorstellen, aber andere schon. Ich will gar nicht wissen, wer mich alles tot sehen will. Um leben zu retten üben Medizinstudenten beim so genannten Leichen-Workshop. Der Tod ist Übungssache, sterben will gelernt sein und Leben wird meist überschätzt.  Aber wenn wir töten, haben wir andere Gründe. Habgier, Geschlechtstrieb, Eifersucht, Familienehre. Wenige töten aus reinem Selbstzweck. Reine Mordlust ist seltener als der Lustmord. Natürlich stirbt es sich nicht immer leichter. Und nie ist der Weg das Ziel. Der Tod ist weniger mysteriös als das Leben. Wer ein helles Licht sieht ist noch gar nicht tot nur fast. Niemand liest gerne etwas darüber und so ist dieser Streifschuss aller Ehren wert.

 

Streifschuss

vom 21. Dezember 19

 

Anlass: Die Glücksritter von der Kokosnuss

 

Pursuit of unhappiness

 

95 Prozent seiner Energien verwendet der Mensch darauf vor den Artgenossen seinen wahren Zustand zu verbergen. Und dies während der ganzen Wachphase seines Daseins. Es gibt keine glücklichen Menschen, da jeder sein Päckchen zu tragen hat. Nur gelegentlich kann man dieses Päckchen so sehr vor anderen verbergen, dass man es sogar selbst nicht mehr sieht. Glücklich ist man dann nur nach dem Prinzip des fake it, till you make it. Unsere Glückstarnung macht natürlich evolutionsbiologischen Sinn. Die Glücksmaske suggeriert meinem Gegenüber Stärke. Heute mehr denn je, wo Glück und glücklich sein das vermeintliche Hauptziel aller Menschen ist. 100 Prozent aller Menschen machten damit eine hundertprozentige Illusion zu ihrem Hauptziel. Denn während des Lebens und seiner Fortdauer wächst vor allem das zu tragende Päckchen und damit eher das Unglück. Nicht nur Tod und Krankheit rücken immer näher, sondern das sich erweiternde Bewusstsein durch Erfahrungen und Wissen ermöglicht jedem Menschen einen noch größeren Einblick in die tägliche Hölle. Umso verbissener versuchen wir dies auszublenden. In gelegentlichen mikrosoziologischen Momenten erlebt man dann die Folgen. So saß ich neulich in einer fröhlichen Runde, deren Anlass eigentlich nicht fröhlich war. Wir saßen beisammen um eine sehr liebe Kollegin zu verabschieden. Ich schwieg einige Momente, starrte vor mich hin. Schon sprach mich eine Dame aus der fröhlichen Runde mit besorgtem Blick an: Sie beugte sich dazu etwas vor und fragte mich, worüber ich gerade nachdenke.
„Ich bin nur etwas müde“, sagte ich. Dabei log ich zwar nicht, sagte aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn für ein paar Augenblicke verrutschte meine Glücksmaske und der Körper sank leicht erschöpft zusammen. Mein Lebenspäckchen (eigentlich ein veritables Paket) machte sich schlagartig bemerkbar.  In diesen Momenten fühlt man sich angreifbar. Die wenigsten Menschen greifen einen dann wirklich an. Viele wenden sich einfach ab, weil sie das an etwas erinnert, das sie selbst nicht sehen wollen. Einige mitfühlende Artgenossen ermuntern dich dazu, deine Glücksmaske wieder grade zu rücken. Ihr besorgter Blick schweift auch ein wenig in die Runde. Denn hoffentlich hat niemand diesen Ausreißer gesehen, der gerade das allen zugrunde liegende Unglück offen zeigt. Wie unanständig! Das Glück hat sich mittlerweile zum Terror entwickelt, wird staatlich gefördert und  gratifiziert. Dabei ist Glück eine Illusion. Unglücklich sein wird sanktioniert, bestenfalls therapiert. Diese Realitätsleugnung schafft einen durchgängig kognitiv dissonanten Menschen, der lächelnd in der Scheiße steht. Und alle lachen mit. Fröhliche Weihnachten.

 

Streifschuss vom 19. Dezember 19

 

Anlass: Wenn du spürst dass sich was ändert

 

 

Warum es besser wird, als du denkst

 

Alles fließt zusammen. Das ist eigentlich sehr vernünftig. Das Drama findet nicht im Denken, sondern im Handeln statt. Denn je mächtiger du wirst, desto weniger kannst du eigentlich bewirken. Macht impliziert meist mehr Anpassung als Durchsetzung. Womit man dann auch rechnen kann. Es bedeutet sogar, dass du dich besser durchsetzt, wenn du weniger Macht hast und auch weniger Macht verkörperst. Willst du deine Ideen wirklich durchsetzen, wäre Macht kontraproduktiv. Im Gegenteil. Die Menschen sind viel geneigter dir zuzuhören, wenn du harmlos bist. Denn dann fühlen sie sich ungefährdet, hören eher zu und übernehmen das. Denn du willst ja gar nichts von ihnen. Die Politiker sind die am wenigstens durchsetzungsfähigen Menschen der Welt. Sie können nur Macht ausüben durch Zwang und Druck. Eine traurige Form der Macht. Diese Graswurzelidee ist natürlich nicht unumstritten. Zu Recht. Aber wer Wirkmacht durch politische Ämter ergattert hat sich dafür schon  viel zu sehr angepasst. Graswurzeln passen sich zwar auch an, aber sie verändern sich dabei weniger. Macht macht starrer. Denn die Strukturen müssen mit Kraft durchbrochen werden. Wenn du aber die Strukturen änderst ist das anders. Macht heißt: Du versucht andere anzupassen. Graswurzel passt sich anderen an und ändert andere durch die Anpassung, während Macht andere nur zwingt und sie nicht ändert. Wir Menschen wollen. Wenn wir müssen sind wir unwillig. Was nutzt also der Zwang? Er ist nur eine Lösung auf Zeit. Wir versuchen alle dieser Macht aus dem Weg zu gehen. Aber wenn wir jemandem begegnen der uns hoffen lässt und wollen lässt ändern wir unseren Weg. Politik ist am wirkmächtigsten wenn sie nicht mächtig ist, sondern mit Liebe, Vertrauen und Zuneigung die guten Neigungen von uns evoziert. Demokratie ist in diesem Sinn nicht machtvoll sondern liebevoll.

 

Streifschuss vom 14. Dezember 19

Anlass: würdevolles Finale

 

Warte nur du alter Gott

 

Ich wusste sofort, dass zu schreiben meine Berufung ist.  Selbst 40 Jahre später besteht an dieser Überzeugung kein Zweifel. Doch die damit anfangs verknüpften (zugegeben naiven) Hoffnungen und Träume haben sich vollständig zerschlagen. Sicher lag es auch an der Härte der Realität, der ich nie ganz gewachsen war. Dieses Leben ist so beschwerlich, wie es die Bibel beschreibt als der Mühsal unserer Hände, die uns verursacht wird von dem Boden, den Jahwe verflucht hat! Dies auf der Grundlage unserer Fähigkeit von Gut und Böse zu wissen. Doch habe ich das schreiben selbst immer nur als Lust empfunden, nie als Mühsal. Daher darf ich davon wohl nicht leben. Erst wenn das Schreiben zur Mühsal wird, zur Plage, zur Bürde, bekommt man das Auskommen, das nie anders als erkämpft werden muss. Die Lust zu schreiben stiehlt dem Herrgott die Zeit, ergaunert sich einen Happen Paradies auf Erden.  So habe ich mein Leben genau diesem Schwindel gewidmet. Die stibitzten Stunden des Schreibens kann ich nun im Rückblick als mein kleines Paradies auf  Erden betrachten. Und tatsächlich spielt es für mich keine Rolle mehr, ob ich dafür Geld bekomme oder nicht. Das heißt natürlich nicht, dass alles umsonst war. Im Gegenteil. Der Wert dieser geklauten Stunden ist unschätzbar, unbezahlbar. Ich kann den höchsten Preis auf Erden fordern für jedes meiner erlogenen Wörter. Ich habe dieses erschriebene Paradies zu meinem Bewusstsein gemacht und mich so befreit von Jahwes Fluch. Zahle du Gott! Den Wechsel wirst du kaum haben und so mein Fluch auf dich, der du meine Zeit gestohlen hast mit deinem Erdenfluch. Stolz und Fürwitz? Sicher nicht, sondern Recht auf Recht. Das Böse vom Guten zu scheiden war von je ein Menschenrecht und mich alten Pelagianer täuschst du nicht mehr mit deinem Manichäismus. Meiner Lust zu schreiben habe ich als mein Recht auf Freiheit alles untergeordnet und ja, ich würde dafür auch hungern, habe gehungert und verzichtet und dem Fluch der Mühsal so ein Schnippchen geschlagen. Da ich immer besser wurde darin, meine Lust des Schreibens zu befriedigen, war es auch keine Gnade von Gottes Hand, sondern Selbstbegnadung. Dafür danke ich nur mir, bin so versöhnt und kann dank der gestohlenen Stunden würdevoll abtreten. Ich warte. Du alter Gott.

 

Streifschuss vom 09. Dezember 19

 

Anlass: Der Schmerz vergeht nicht. Man schafft nur Platz dafür. – The Walking Dead

 

Zombies sind Schafe in Waggons auf Schienen

 

Das Fahren in den öffentlichen Verkehrsmitteln wird mehr und mehr zur Charakter-Prüfung. Die meisten Menschen sind ignorant, laut und egomanisch. Rücksicht (was die genaueste Übersetzung von Respekt wäre) haben immer weniger Menschen. Wer Rücksicht zeigt, wird in der Regel weggestoßen. Heute musste ich mir die ganze Fahrt über den lauten Dialogmüll (eigentlich war es ein Monolog einer überdrehten Frau) anhören. Sie sprach laut, sie sprach großen Unfug und langweiligen Unsinn mit emphatischer Lautstärke aus. Dass ich gegenübersitzend versuchte zu lesen, war ihr völlig gleichgültig. Auch neben mir versuchte eine junge Frau zu lesen. Unmöglich. Als ich dann am Marienplatz in die U-Bahn steigen wollte drängelte sich eine exaltierte Blondine mit Sonnenbrille (im Winter im Untergeschoss!) einfach vor. Doch diesmal gelang es mir, mich ganz elegant und schnell vor ihr in die U-Bahn zu kommen und einen Stehplatz am gewünschten Platz zu ergattern. Sie wendete sich arrogant grinsend ab. Na was? Hab ich dich mit deinen eigenen Waffen geschlagen, du Zombie!? Sie versuchen einzusteigen, wenn man aussteigen will, sie telefonieren oder machen irgendwas mit ihrem Smartphone, dabei achten sie nicht auf ihre Umwelt. Sie tragen prall gefüllte Rucksäcke und stoßen einen damit ohne sich auch nur im Entferntesten darum zu scheren. Sie bleiben nach dem Einsteigen an der Tür stehen und rücken nicht nach, wodurch man nicht mehr in die U-Bahn kommt. Sie telefonieren laut und ohne Schamgefühl. Sie sitzen breitbeinig da und stellen ihre Tasche auf dem freien Nebenplatz ohne auch nur daran zu denken ihre Tasche wegzunehmen. Die Unarten lassen sich endlos weiter aufzählen. Der Mangel an Erziehung ist gerade bei den 20-50jährigen am schlimmsten. Die Jüngeren sind ohnehin behindert aufgrund des Catecholamin-Überschusses und die Älteren versuchen sich an diese Rücksichtslosigkeit anzupassen. So entgleist der Charakter der Fahrgäste in den öffentlichen Verkehrsmitteln immer mehr. Günstigere Fahrkarten werden das Problem noch verschärfen. Denn Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine proletarische Notwendigkeit. Leider benehmen sich die Reichen in den öffentlichen Verkehrsmitteln wie geistlose Herrenmenschen. Sie halten für wertlos, was der einfache Mensch für nötig hält. Insgesamt aber ist es dennoch ein Wunder, dass nicht täglich eine Bombe hochgeht. Das sollte man aber nicht moralisch sehen, denn die Masse ist nicht fähig dazu, sich selbst zu regulieren. Dazu fehlt ihr das nötige Hirn. Jeder Zombie-Film ist eine Reprise an das Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln. Als Überlebender mit Hirn bedarf es Mut und eines Samurai-Schwerts.
 

Streifschuss vom 07. Dezember 19

 

Anlass: In Zeiten der Krise bauen die Weisen Brücken, während die Narren Mauern errichten. – Black Panther

 

Superhelden

 

Immer mehr Menschen ignorieren das Gewaltmonopol des Staates und schreiben sich ihre eigenen Gesetze. Nicht nur in den USA nehmen Lynchjustiz und private Rachefeldzüge zu. Die Presse feiert aller Orten die Helden, die ohne Polizeiausbildung die vermeintlich Bösen erwischen. Dabei beschäftigt sich die US-amerikanische Filmindustrie schon lange mit dem Helden-Phänomen und der daraus abgeleiteten Paralleljustiz. Von Superman und Batman über Luke Cage und den Defenders strahlt ein Hoffnungsschimmer ab, eine auratische Heilskraft die aber stets gebrochen wird. Immer kämpft der Held mit seinen inneren Dämonen, seiner Verletzbarkeit und seiner Definition moralischer Grenzen. In den Marvel-Comic-Verfilmungen erleben wir eine meist überforderte Polizei, der durch die Gesetze des Landes die Hände gebunden sind. Die Polizeibeamten sind machtlos gegenüber den Winkeladvokaten der Bösen. Kaum haben sie einen Schurken erwischt, müssen sie ihn wieder laufen lassen. Das ist dann die Stunde der Helden. Sie müssen sich nicht an Gesetze halten. Und ihr Handeln spaltet oft die Justiz des Landes. Manche Polizisten haben genug davon, die Schurken immer laufen lassen zu müssen, weil die „Beweise“ fehlen oder die Gesetze verdreht werden. Sie helfen den Helden dabei, die Gesetze zu umgehen und für die nötige Gerechtigkeit zu sorgen. Ein gefährliches Spiel, das die Filmindustrie da spielt. Der differenzierte Zuschauer vermag den Dilemmata kognitiv zu folgen. Doch meist wirken die Helden gerade durch ihre Verletzlichkeit, durch ihre „berühmte Achillesverse“ besonders sympathisch. Der Held leidet an der Ambivalenz von Recht und Gerechtigkeit und überwindet das Recht nicht selten durch seine Opferbereitschaft – wie das Nolans Dark Knight sehr eindrucksvoll darstellte. Dabei ist der Schurke nicht immer eindeutig der Böse. In der aktuellen Staffel von Luke Cage taucht ein jamaikanischer Bösewicht auf, der mit seinem persönlichen Rachefeldzug erst einmal Blut über die Stadt regnen lässt. Doch die Eskalation des Bandenkrieges führt dazu, dass er verletzt wird und er gewinnt die Tochter seiner Erzfeindin. Der Schurke (Bushmaster heißt er) wird so zum Prototyp des geläuterten Helden, der schließlich das Opfer wird und so den eigentlichen Helden entlastet. Das Problem wird damit aber nie gelöst – klar, denn sonst gäbe es ja keine Fortsetzung. Aber im Ernst: es wird nicht gelöst, weil die „böse Maxime“ weiter vorhanden ist. Der Held und auch der geläuterte Schurke stellen sich über das allgemeine Sittengesetz. Ihre Vernunft ist nach Kant daher „vernünfteln“. Die Helden sind in der Regel keine ausgebildeten Juristen. Die interessanteste Ausnahme ist der erblindete Anwalt Matthew Michael „Matt“ Murdock bekannt unter seinem Künstlernamen „Daredevil“. Er führt ein Doppelleben als Anwalt und Kämpfer für die Rechtlosen. Dass er blind ist, hat natürlich eine tiefe Bedeutung. Schließlich trägt auch Justitia eine Augenbinde. Nicht nur sind seine anderen Sinne dadurch viel schärfer als bei gewöhnlichen Menschen, sondern damit wird auch seine Neutralität vorgewiesen. Er ist zweifelsfrei der moralisch integerste Superheld aus dem Marvel-Universum. Aber selbst er, der „Teufelskerl“ verfällt immer wieder der Hybris und muss sich seinen inneren Dämonen stellen. Denn sein größter Feind ist Elektra, eine Jugendfreundin. Sein Kampf ist oft einer gegen Windmühlen, da „Die Hand“ eine dunkle Organisation ist, die nicht allein mit Kraft und Stärke zu bekämpfen ist. Ähnlich geht es ja auch Danny Rand, die Iron Fist, der seine Ausbildung in der geheimnisvollen Stadt K’un-Lun erwarb. Bei ihm existiert der Feind noch nicht einmal real. Er besiegte einen Drachen, aber niemand glaubt ihm. Seine Geschichte halten seine Superheld-Kollegen mehr für eine Metapher.

Klar ist: In der Welt der Helden und Schurken geht es nicht immer eindeutig zu. Im Marvel-Dualismus verschieben sich ständig die moralischen Grenzen. Und das ist uns nicht unbekannt. Als Willy Brandt das Fragment „Mehr Demokratie wagen“ prägte, wandelte sich die miefige Adenauer-Gesellschaft zu einer liberalen, weltoffenen Republik. Und als Helmut Kohl die „geistig-moralische Wende“ ausrief wandelte sich die demokratische Respekt-Toleranz in eine Erlaubnistoleranz, die heute in der Kreuzverordnung und dem Burka-Verbot mündet und damit als Erbe der Auflösung des Edikt von Nantes bezeichnet werden kann. Zwischen dem Diskurs, ob Hugenotten Waffen lagern dürfen, um sich gegen Pogrome zu wehren und der Frage, ob Moscheen Minarette tragen dürfen, besteht zumindest qualitativ kein Unterschied. Der Wandel der Moral im 21. Jahrhundert zeigt eine starke Wiedergeburt des Kollektivs und einem damit verknüpften Abbau der Individualrechte. Die Pseudo-Moral der Marvel-Helden verklärt die individuelle Kraft zum kollektiven Schutz-Gott.

 

 

Streifschuss vom 23. November 19

 

Anlass: Kinderglaube

 

Wer nichts weiß, glaubt alles

 

Es verhält sich nun schon seit Jahren so, dass viele Menschen – und vornehmlich solche die es nicht besser wissen – Schlechtigkeiten über das Rauchen absondern. Dabei ist die hübsche Kulturpflanze Nicotiana tabacum nicht nur eine Augenweide mit rosa Blüten und dichtem hellem Grün, sondern auch eine Heilpflanze. Ihr besonderes Alkaloid Nicotin wirkt gegen Koliken, gegen Flatulenz und gegen Obstipation. Die alte Sitte des Rauchtrinkens ist nahezu überall in Verruf geraten. Es gefährdet angeblich nicht nur die Gesundheit, sondern auch den allgemeinen Weltfrieden. Wer Rauch trinkt ist ein böser Mensch, zu allem fähig. Dabei war Hitler ein strikter Gegner des Rauchtrinkens. Und in den alten indigenen Kulturen wurde das Rauchtrinken gerade für den Erhalt des Weltfriedens eingesetzt. Verfeindete Stämme saßen in trauter Runde beisammen, tranken Rauch und lachten gemeinsam über ihre kindlichen Unarten über die sie in Streit geraten waren. Rauchtrinker sind erwachsen, vernünftig und athaumistisch. Die geistige Nahrung des Rauches entspannt das vegetative Nervensystem, macht resistent gegen Stress und verhilft dem Rauchtrinker zu einem unabhängigen, von egoistischen Begierden befreiten Denken. Rauchtrinker sind gesellige, friedliche und vernünftige Leute. Also genau das Gegenteil von dem was die Tabak-feindliche Umwelt zu suggerieren versucht. Woher kommt dann diese Feindschaft gegen den Rauch? Der moderne Mensch ist infantil. Medien und Werbung haben einen immer größeren Einfluss auf ihre Lieblingszielgruppe, den Personen zwischen 14 und 49 Jahren. Hier sieht man, Kinder und Erwachsene werden gleichermaßen als eine einheitliche Zielgruppe erfasst. Immerhin 19 Prozent der Erwachsenen Deutschen kaufen Kinderbücher für sich selbst. Das hat eine Sinus-Studie 2016 ermittelt. Rauchtrinken ist eine weise und philosophische Beschäftigung für Erwachsene. Doch die meisten Menschen sind und bleiben infantil. Der schöne Satz von der Sex-Göttin Marylin Monroe „Wenn ich einen Nicht-Raucher küsse, kann ich gleich ein Baby küssen“, er wird heute nicht mehr verstanden, da die meisten Menschen kaum noch erwachsen werden. Sie glauben alles, kaufen alles und nutzen ihre geistigen Fähigkeiten lediglich zum spielen. Eine Playmobil-Gesellschaft mit erlernter Hilflosigkeit, leicht zu regieren und leicht zu beeinflussen - wenn ihr plapperndes Ich nicht grade trotzig ist. Das ist das Ergebnis einer Lebensform, die Kleinkinder wie Donald Trump zum mächtigsten Führer der Welt machen konnte. Trump ist kerngesund, er raucht nicht, er trinkt nicht. Er ist einfach ein kindlicher Idiot und damit beispielhaft für die Mehrzahl des modernen Endverbrauchers.
 

Streifschuss vom 16. November 19

 

Anlass: Lösungen, Lösungen, Lösungen

 

 

 

 

Wer irrt sich als erster?

 

Immer mehr Menschen werden ungeduldig. Sie wollen Lösungen. Probleme wurden doch schon genug herumgewälzt. Es muss endlich was geschehen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen zusammen mit einer größeren Gruppe Menschen in einem Raum. Sie studieren und diskutieren über den Klimawandel, die soziale Ungerechtigkeit, den autoritären Staat und so weiter. Die Meinungen gehen hin und her. Was Sie und alle anderen im Raum wissen ist, dass niemand im Raum die perfekte Lösung hat. Das ist die Basis der Diskussion. Doch plötzlich reißt ein Fremder die Tür auf, kommt mit stürmischem Auftritt in den Raum und behauptet mit donnernder Stimme, dass er allein wüsste, was zu tun sei. Er habe für diese Angelegenheiten die Lösung. Seine Argumente sind klar, einfach und bestechend. Alle im Raum nicken, sind geneigt ihm zu folgen, vielleicht deshalb, weil sie von der vorangegangenen Diskussion schon etwas erschöpft waren. Der Onkologe würde in diesem Fall sagen: Eine hübsche Metapher für Krebs. Der Fremde im Raum, der die Lösung hat, unterscheidet sich von allen anderen im Raum genau dadurch, dass er eine Lösung hat. Daher ist er eine Anomalie. Alle anderen im Raum die keine Lösung haben, folgen nun der Anomalie. Jetzt haben wir ein Problem. Folgen wir der Anomalie nicht, finden wir weiterhin keine Lösungen. Unsere Ratlosigkeit einigt uns Sterbliche auf Erden. Finden wir aber keine Lösung, werden wir alle sterben. Folgen wir der Anomalie, werden wir auch sterben. Nur etwas qualvoller. Die Lösung ist nie eine Lösung. Selbst wenn wir alle im Raum demokratisch über die Meinung des Fremden abstimmen würden, und eine Mehrheit für die Anomalie stimmen würde. Der Fremde ist bereits das Abnorme. Eine Mehrheit für ihn würde nur zeigen, dass eine verzweifelte Minderheit mit in den Abgrund gerissen würde. Das lebendige Sinnbild der Demokratie wäre dann der Stillstand im ewig freudigen Diskurs. Nächtelang bei Wein und Brot über Probleme zu diskutieren, ohne je eine Lösung finden zu können. Dieses Glücksgefühl ist teuer und leider begrenzt. Irgendwann gibt es in jeder Demokratie die Anomalie und die Stimmung kippt.  Vielleicht ist es möglich einen Kompromiss zu finden? Wir folgen dem Fremden ein bisschen und ein bisschen nicht? Wir verlassen nicht den Raum, aber wir bewegen uns ein wenig?  "Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie." - Helmut Schmidt, DIE ZEIT, 19. Oktober 2003. Fragt sich wohin die Schnecke will. Und sobald die Oberschnecke eine Richtung vorgibt, müssen wir davon ausgehen, dass die Schnecken, die in eine andere Richtung wollen, sich entweder von der Oberschnecke trennen, oder nachgeben. Die Zeit für das Schneckentempo ist allerdings vorbei. Die Zeit drängt. Wenn sich der Krebs ausbreitet, ist die Demokratie die Anomalie. Nun, da wir ohnehin alle sterben werden, bleiben wir doch bitteschön bei Wein und Brot im warmen Raum sitzen und diskutieren weiter. Das ist eine humane Idee von mir. Bin ich jetzt schon eine Anomalie?

 

Streifschuss vom 11. November 19

 

Anlass: Fakenews aus der Geschichte

 

Armengesetze und das Elend von heute

 

 

 

Wie jeder vernünftige und empfindsame Mensch verabscheue ich Arbeit (Aldous Huxley)

 

Die Geschichte des englischen Armengesetzes spiegelt – finde ich – sehr gut die Entwicklung hin zum modernen Arbeitsbegriff.  Die Wohlfahrt hat sich aus dem christlichen Gedanken, den Armen zu geben zunächst in den Klöstern gebildet. Almosen durch Reiche waren freiwillig. Der soziale Druck bestand darin, dass man als Reicher schwieriger in den Himmel kommt, denn als Armer. Almosen waren ein Weg in den Himmel.
Als in der Neuzeit das Armutsproblem durch die Enteignung der Bauern (frühindustrielle Schafszucht machte das notwendig) größer wurde und die arme Landbevölkerung in großen Gruppen in die Städte kamen, verschärfte sich der Widerstand des Mittelstandes und der Reichen. In England schaffte Heinrich VIII die Klöster ab und trug zusätzlich zu einer Verschärfung bei. Seine Nachfolgerin Elisabeth I. schuf dann Anfang des 17. Jahrhunderts die Armutsgesetze, die old poor laws, in dem der Staat die Versorgung übernahm. Die Frage, wie viel Brot benötigt eine Familie mit so und so viel Kindern wurde berechnet und so bekamen die Armen dies exakt ausgehändigt. Finanziert wurde dies durch eine Armensteuer. Dagegen regte sich zunehmend Widerstand beim Mittelstand und den Reichen, denn diese hatten sich ihren Reichtum ja redlich verdient. Es war dann der britische Methodist und Alleskönner Joseph Townsend, der in seiner Schrift A Dissertation on the Poor laws. By a well-wisher to mankind (1786) kritisierte, dass das Recht der Armen auf Unterstützung die Entfaltung der Märkte behindere und infolgedessen Armut und Verelendung immer weiter zunehmen würden und daraufhin darlegte, dass das mit den Armen ein Naturgesetz sei. Mit einer Geschichte von den Juan-Fernandez-Inseln sah er seine These als belegt an. Dort hatte der Entdecker Fernandez Schafe ausgesetzt. Diese vermehrten sich, da sie genug zu essen vorfanden. Aber es wurden immer mehr Schafe, die alles kahlzufressen drohten. Daher setzte (angeblich) Fernandez Hunde aus, die jene Schafe jagten. Die Schafe zogen sich bedroht von den Hunden zurück in die Berge und es kam zu einem neuen Gleichgewicht, weil die Hunde ihnen nicht folgen konnten. Nur die geschicktesten Hunde und die vorsichtigsten Schafe überlebten. So sei es eben auch mit den Armen. Es gibt sie immer und wenn man ihnen einfach Geld gibt, dann würden diese sich ungebührlich vermehren. Wenige Jahrzehnte später nahm Robert Malthus genau diese Geschichte in seinen Principle of Population wieder auf. Für Karl Marx (Kapital I S 597) war Malthus  Principle of Population „nichts als ein schülerhaft oberflächliches und pfäffisch verdeklamiertes Plagiat". Malthus hatte es von Townsend unverändert abgeschrieben. Später gab er es sogar nonchalant zu.  Und dazu kommt, dass die Hunde in der Geschichte frei erfunden sind. Es gab dort diese Hunde nie. Ein angeblich wissenschaftlich bewiesenes Naturgesetz der klassischen Nationalökonomie beruht auf einer frei erfundenen Geschichte. Einer Fiktion, der später sogar der berühmte Charles Darwin aufsaß. Darwin schrieb in seiner Autobiografie, dass er nur zum Spaß das Buch von Malthus gelesen habe und durch die Schafs-Geschichte fand er die Bestätigung seiner Idee der natürlichen Auslese, und so hätte er dadurch endlich eine Arbeitsthese bekommen. Die Evolutionstheorie – die Anpassung der Arten -  ruht auf einer frei erfundenen Schafsgeschichte.
Später kritisierte auch der berühmte Philosoph und Reformer Jeremy Bentham die old poor laws und forderte die Workhouses in ganz England. Er selbst entwarf dazu die Architektur des Panoptikums. Ab da wurden die Armen in Arbeitshäusern eingesperrt. Und die Ideologie „Geld nur bei Arbeit“ war in der Welt. Sie wurde dann so auch im wilhelminischen Reich in Deutschland übernommen.

Nun – warum erzähle ich das? Alle Sozial-Utopien von Thomas Morus Utopia bis Callenbachs Ökotopia fußen auf einem Modell des Gemeineigentums. Deutlich reduzierte Arbeitszeiten einerseits, aber im Wesentlichen gleichen sich nahezu alle Sozial-Utopien darin, dass Arbeit nicht dazu dient das Individuum zu erhalten, sondern die Gemeinschaft. Arbeit ist gemeinschaftsstiftend. Und das ist in der Tat eine gemeinsame Klammer nahezu aller Sozialutopien.
In einem jüngeren Experiment hat eine Kindergärtnerin scheinbar unabsichtlich Sachen fallen lassen und die Kinder reagierten spontan, hoben es auf und gaben es der Kindergärtnerin, ganz ohne Aussicht auf Gratifikation. Dann versprach man den Kindern eine Belohnung, Gummibärchen, wenn sie die Sachen für die Kindergärtnerin aufheben würden. Und was geschah? Die Bereitschaft der Kinder die Sachen aufzuheben sank um die Hälfte ab. Für ein Gummibärchen? Sicher nicht, zwei, drei, vier, eine ganze Tüte….  So hat uns das Belohnungssystem, eine besonders hinterlistige Form der Konditionierung, das Arbeiten versaut. Auch die Basis der Hartz-IV-Gesetze ruht auf dieser frei erfundenen Geschichte von Joseph Townsend. Nur innerhalb einer gewissen Schwelle ist der Mensch leistungswillig. Wenn die Bezahlung unter diese Schwelle sinkt, aber auch wenn sie über diese Schwelle steigt, sinkt die Leistungsbereitschaft der Menschen. Wer zu viel verdient verliert seinen Leistungswillen genauso, wie jemand der zu wenig verdient.

 

 

Streifschuss
vom 10. November 19

 

Anlass: Suche nach dem Original

 

 

 

Echte Nazis  

 

Gestern vor dem Gewerkschaftshaus an der Münchner Schwanthaler-Straße waren echte Nazis angekündigt worden. Eine Rednerin von Verdi rief pathetisch, es seien drei gesichtet worden. Ich konnte sie nicht sehen, ich sah nur Parka und Sticker. Ich hätte gerne mal einen gesehen im Original. Weil meistens sieht man ja nur die gefälschten, nachgemachten Nazis. Typisch Kapitalismus, nicht mal einen Nazi kriegen sie richtig hin. Man sieht ihm sofort an, dass er gerade frisch vom Regal kommt und nicht hält was er verspricht. Die kapitalistisch nachgemachten Nazis machen zwar Appetit, aber sie stillen ihn nicht. Man muss schnell wieder einen neuen Nazi kaufen, weil der alte schon wieder kaputt ist. Erst sehen sie frisch und lecker aus, zum reinbeißen. Aber schon nach wenigen Tagen bekommen die äußere Haut Risse, fangen sie an komisch zu riechen. Die originalen Bio-Nazis sehen zwar nicht so hübsch aus wie die kapitalistischen Hochglanz-Nazis, aber sie sind wenigstens gesund – heißt es zumindest! Vorsichtig! Nicht alles auf dem biologisch draufsteht, ist auch biologisch. Viele Unternehmen haben sich inzwischen auf Bio-Nazis spezialisiert. Sie kommen fabrikfertig vom Band, nur auf schrumpelig gemacht.  Weil sie furchtbar biologisch aussehen, halten sie viele auch für Bio-Nazis. Aber sie sind Fabrikware. Also Vorsicht vor dem falschen Bio-Nazi. Sie sind nämlich genauso schädlich wie die Hochglanz-Nazis. Mit einem rassistischen Spruch ausgestattet kommen sie biologisch einwandfrei daher, aber man hat giftige liberale Zusatzstoffe hinzugefügt, die ihre Haltbarkeit verlängern. Gerade am gefakten Bio-Nazi verdirbt man sich den Magen. Weit und breit gibt es kein Original mehr. Manche behaupten sogar, dass das Originalrezept zur Nazi-Herstellung verschollen sei. Das glaube ich nicht. Ich glaube eher, dass man es unter Verschluss hält, weil der Original-Nazi gar nicht mehr hergestellt werden soll. Überall ist der gefälschte Nazi im Umlauf. Die meisten kennen ja das Original gar nicht und wissen auch nicht, dass es sich um eine Fälschung handelt. Ein echter Hitler ist der Höcke ja nicht gerade. Aber wer weiß das schon, schließlich sind alle, die einmal einen echten Hitler gesehen haben, schon verstorben. Daher müssen wir kritisch mit dem Produkt Nazi umgehen und ich bin für eine Warenkennzeichnung des Nazis. Ein Biogütesiegel muss aber wirklich gut kontrolliert sein, sonst lässt sich der gutmütige Kunde beim Nazi-Kauf doch wieder nur über den Tisch ziehen. Es muss endlich Schluss sein mit der Nazi-Fälschung. Die Sehnsucht nach dem Original Nazi ist groß. Gestern waren Hunderte versammelt um einen sehen zu können. Sie wurden getäuscht! Weit und breit kein Original Nazi.

 

 

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Streifschuss vom 03. November 19

 

Anlass: Lange bevor die Wissenschaft das Atemzentrum entdeckte hat der Mensch bereits geatmet

 

Erst musst du sehen, bevor du erkennst

 

Ein brillanter Klavierspieler behauptete, er könne so gut Klavierspielen, weil seine Finger selbst die Noten wüssten und die Wege, die Töne dazu von alleine finden. Er habe schon als Baby perfekt Klavier spielen können. Nur habe er als Baby leider kein Klavier besessen. Die Theorie ist abstrus, sicher. Aber niemand kann bestreiten, dass der Mann sehr gut Klavier spielen kann. Auch wenn er bestreitet, er habe es je gelernt. Die Engländer verhinderten über zwanzig Jahre lang die Einführung des Stethoskops in die Medizin, allein aus dem Grund, dass es von einem Franzosen erfunden wurde. Was ein Franzose erfindet, kann nicht funktionieren, es hätte das Nationalgefühl der Engländer verletzt. Auch die Hypnosetechnik wurde lange Zeit abgelehnt, weil sie von dubiosen Mesmerianern gelehrt wurde.  Und die Metallurgie wurde schon in der Antike angewandt. Auch wenn man als erklärende theoretische Grundlage den Hylozoismus verwendete und glaubte, dass alle Gegenstände des Kosmos belebt seien und alles von der Qualität des Wassers abhänge. So sind viele unserer Fähigkeiten theoretisch lückenhaft bis bizarr belegt. Es ist ein Glück, dass ich sehen kann ohne Optik studieren zu müssen und es ist ein Glück zu atmen ohne tiefere Erkenntnisse in der Pulmologie zu besitzen. Dennoch kenne ich Menschen die Erlebnisse oder sogar Eigenschaften bestreiten, weil ihnen dazu die beweisende Theorie fehlt. Ein schönes Beispiel dazu sind die Klimawandel-Leugner. Sie bestreiten den offensichtlichen Klimawandel, weil sie der Theorie misstrauen. Kinder sind hier meist entspannter und neugieriger als Erwachsene. Erwachsene verfügen nur über ein bereits fertiges, warenförmiges Gehirn. Es verändert sich nicht mehr. Einmal vom Band gelassen, bleibt es wie es ist. Sie wissen alles was sie wissen basierend auf Gewohnheit, Autorität und Fachidiotie. Sie wollen gar nicht wissen, was sie nicht wissen. Vielleicht lässt sich solchen Menschen mithilfe der Fiktion Neues beibringen. Wahrscheinlich lernen sie dabei auch nichts, aber sie fühlen sich davon nicht angegriffen. Es ist ja nur Fiktion. Selbst wenn ich behaupten würde, dass Fische degenerierte Säugetiere sind, widerlegt das nicht die Existenz der Fische. Wer die Realität für falsch hält, weil sie der Theorie widerspricht, hat beim Forschen gewisse Schwierigkeiten zu überwinden. Aber genau das geschieht mit Menschen, deren Gehirn aufhört sich zu entwickeln. Das ist auch der Grund, warum die Kirche aufgehört hat, Menschen zu missionieren die älter sind als 26 Jahre. Denn ab diesem Alter kreischt man hysterisch nach Beweisen. Und das ist nun wirklich bizarr, wenn man nach Gottesbeweisen verlangt. Da Gott nur ein Etikett für das schlechtin Unerklärliche ist, verlangt man nach Beweisen für etwas, das seiner Natur nach gar nicht beweisbar ist. Drum glaubt man es ja. Aber ein fertiges Gehirn glaubt eben nur, was es weiß.

 

Streifschuss vom 01. November 19

 

Anlass: Die Freiheit zu schreiben was man will

 

Den Lebenden ist der Zutritt verboten

 

Als ganz junger Mensch, als ich anfing zu schreiben, begleitete mich einige Zeit die beinahe wahnhafte Gewissheit, dass der mir verwehrte Tagesruhm mit umso größerem Nachruhm einhergehe. Ob es in 50 Jahren noch Schriftsteller geben wird mit Nachruhm, wissen wir nicht. Bei etwa 80.000 Neuerscheinungen pro Jahr allein in Deutschland ist eher nicht davon auszugehen. Aber hat das eine mit dem anderen wirklich zu tun? Als der französische Bischof Pierre Daniel Huet seinen Traktat über den Ursprung der Romane schrieb – und damit den ersten literarischen Kanon schuf - , hatte er vermutlich deutlich weniger Belles lettres zu bewältigen, als eine Buchsaison heute ausspuckt. Und schon Pierre Daniel Huet hat ganz sicher nicht alle Romane gelesen. Und ganz sicher haben die, die heute einen Kanon bereitstellen nicht, nie auch nur annähernd alle Romane gelesen. Und dann haben auch nicht alle alle Romane zu jeder Zeit gelesen. Denn jeder einzelne Leser hat nicht nur sein eigenes Urteil, sondern auch seine eigene Zeit des Urteils. Daher galt es eine Ästhetik anzulegen, die nicht nur die reine Wahrnehmung im Blick hat, sondern die Kriterien von schön und hässlich absteckt. Doch mit dem 20. Jahrhundert  wurde es zunehmend zur Selbstverständlichkeit, dass für Bewertung von Kunst nichts mehr als selbstverständlich gilt. Noch nicht einmal ihr Existenzrecht ist gesichert. Der Roman erlebt einen außergewöhnlichen Boom in unserer Epoche. Einfach nur deshalb, weil er eine in sich geschlossene Geschichte mit hinreichender lebensnaher Komplexität vermittelt. Und dies verschafft uns sinnverlorenen Menschen im Nirgendwo des Konsums ein wenig Halt. Einen trügerischen Halt, denn die Buchproduktion mag hoch sein, aber der Inhalt ist es nicht. Es gibt nur eine endliche Zahl an Verknüpfungen. Um eine Geschichte weiter in sich geschlossen zu halten, kann ich auf bestimmte dramaturgische Gesetze nicht verzichten. Und  diese Gesetze (Anfang, Mitte und Ende wäre eines der simpelsten davon) werden in einer Massenkultur zu einem Straßennetz des Massenverkehrs. Es ist nicht mehr möglich, einen Roman zu schreiben der herausragt. Es wäre, würde der Text herausragen, kein Roman. Das macht den Tagesruhm durch Anagnorisis beständiger, als den Nachruhm. Das divers Herausragende ist uns nicht geheuer. Was im dauernden Heute aus der Vergangenheit leuchtet, ist wohliges Licht, das sich ins Tageslicht schmiegt. Daher wird auch die Erinnerungskultur immer fragiler. Das Schattenreich ist uns suspekt geworden.  Sich dem angenehmen Licht der Mode zu erwehren bedeutet nicht zeitgemäß zu sein. Doch jeder Trampelpfad ist schon vernetzt und gut beleuchtet. Der vorherrschende Nominalismus on its own merits karrikiert dabei die Existenz ästhetischer Gesetze. Typisch wäre dann untypisch. Das Neusprech der Massenkultur examiniert den Ausreißer. Jeder Nachruhm heutiger Tage ist nur Tagesruhm. So kann die Mode derart wechseln, dass ganz plötzlich Altes wie neu erscheint und im kurzen Aufblitzen gleich wieder in der Vergessenheit versinkt. Das Alte wird ohne seinen Schatten reflektiert. Es gibt nichts Bleibendes, nur ewig Gleiches das sich hier und da ins Muster des Massenverkehrs einschmiegt. In der Massenkultur wird nicht erinnert, nur reklamiert was nicht ins Tagesgeschäft gehört, nur aussortiert. Jenseits des Massenverkehrs ist nur noch der Abgrund des Schattenreichs, eine Art Parkanlage. Gelegentlich kommt ein Nachtwächter mit der Taschenlampe. Wer auf diese im Schatten liegende Parkanlage zuschreibt, kann nur auf günstiges Licht hoffen. Ein kurzer Streif, ein Moment Aah und Ooh. Ein kurzer Kitzel für die Anständigen, die sich dann schnell wieder dem Tagesgeschäft zuwenden. Die gute Nachricht: Es ist egal was wir schreiben und das bedeutet Freiheit.

Streifschuss

vom 19. Oktober 19

 

Anlass: Untersagt wird nur, was bisher erlaubt gewesen; – Johann August Eberhards synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache

 

 

Rechte Politik gegen rechte Gewalt

 

Verbote, Verbote, Verbote, Verbote. Die Politik reagiert auf rechte Gewalt mit Verbotskultur. Und nur auf Gewalt und nur mit Verboten. Auf vernünftige Argumente, die schon seit Jahren an die Regierungen der Länder herangetragen werden, und seit Jahren ignoriert werden, reagiert die Politik leider nicht. Man kann jetzt nicht behaupten, dass rechte Gewalt seit Halle eine ganz neue Erscheinung ist. Dennoch wird seit Jahren nicht nur nichts getan gegen rechte Gewalt, sondern denen die etwas dagegen tun kürzt man die Förderungen. So wurde das Aussteiger-Programm Exit nicht gefördert und ist faktisch beendet. Das Projekt „Demokratie leben“ mit dem die Regierung bislang zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützte wird langsam ans Ende gefahren, und wurde um 8 Milliarden Euro gekürzt. Das bedeutet gleichzeitig das Ende mehrerer Initiativen gegen rechts. Von daher kann man die reflexartigen und weitestgehend geheuchelten Empörungsbekundungen der führenden Politiker kaum aushalten. Seit Jahren wird systematisch die Schwächung von antifaschistischen Initiativen, Organisationen und Vereinen betrieben.  Die Verbotskultur dagegen wird voran getrieben, als wäre es eine moderne, adäquate Erziehungsmaßnahme, wenn man dem vorlauten Kind den Mund verbietet. Da wird also von Demokratie geredet und gleichzeitig undemokratisch gehandelt. Solche Paradoxien fördern eher die Mitgliedschaft bei der AFD, als dass sie Vertrauen in die herrschende Elite der Politiker schüfe. Ich glaube nicht, dass das an einer generalisierten Demenz liegt, die Haushaltspolitiker erfasst, sobald sie Steuergelder zu verwalten haben. Das wäre zu einfach. Vielmehr ist das Problem auch hier ein urkapitalistisches Dilemma. Die Gelder eines Regierungshaushaltes werden nicht nach den Regeln der Vernunft verwaltet, nicht klugheitstheoretisch verteilt, sondern nach kompetitivem Muster setzt sich das kapitalistische Schwein (siehe Scheuer) besser durch, weil es für die Durchsetzung von Interessen förderlich ist, wenn man nicht über Empathie verfügt. Mitfühlende Menschen bleiben auf der Strecke. Das System mit dem Regierungen fördern ist an Erfolg und Anpassung geknüpft. Erfolg und Anpassung sind faschistische Termini. Die Verbotskultur ist Ausdruck eines mangelnden Rechtsverständnisses. Hier wird das „soll nicht“ zum „darf nicht“, nach dem Motto es darf nicht sein, was nicht sein soll. Die Wahlergebnisse reflektieren dagegen regelmäßig seit Jahren, was ist.  Was die Politik derzeit verteidigt, ist ihre rechte Flanke. Grund genug, um von links anzugreifen. Diesen Flankenwechsel begreift sogar die AFD. Das ist die eigentliche Gefahr! Das polnische Muster: rechte Ideologie und linkes Sozialprogramm. Dagegen helfen keine Verbote. Der absurde Irrglaube, dass der Verbot von Online-Gaming rechte Gewalt eindämmen könne, ist so durchschaubar hysterische Polypragmasie.  

Streifschuss vom 16. Oktober 19

 

Anlass: Soll Schweden brennen?

 

Der Schöne und der alte Mann

 

Möchte man sich da noch einmischen? Der aktuelle Gewinner des Deutschen Buchpreises kritisierte die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke mit den Worten, die Poesie dürfe sich nicht über die Tatsachen stellen. Das wiegt insofern schwer, da der Vorwurf der Beschreibungsimpotenz einer läppischen Literatur ein wenig auf Saša Stanišić selbst zutrifft. Und natürlich auf die Literaturkritik, die mit Saša Stanišić keinerlei Wagnis einging. Die Frage nach moralischen Grenzen in der Literatur ist alt und sie ist unbeantwortet. So manche Literatur ist zu leicht, um moralische Grenzen überhaupt zu berühren. Zuvor endet sie im Beschreibungskitsch und bleibt weitestgehend wirkungslos. Der Medienliebling Saša Stanišić wird für einen erbärmlichen Kulturkampf instrumentalisiert und lässt sich dafür instrumentalisieren.  Der deutlich ältere Meister Handke hasst den Journalismus und wird von diesem kräftig zurückgehasst. Da lässt sich einer nicht instrumentalisieren und ist doch ein großes Zirkuspferd. Ein letzter Ritt, bevor er zu Seife verarbeitet wird. Die Öffentlichkeit ist kein Ort für die Moral. Denn die bleibt so oder so auf der Strecke. Die Schwedische Akademie hat wieder zugeschlagen. Und alle Journalisten tanzen im Wind. Über Literatur wird gar nichts mehr geschrieben. Der Literaturbetrieb ist mehr Betrieb und kaum noch Literatur. Politik ist das auch nicht. Das ist vielmehr Schlagzeilenjournalismus ohne Tiefendimension. Eine traurige Veranstaltung. Es ist viel Wind um viel Scheiße. Niemand möchte noch etwas hören über die Verfehlungen eines alten Mannes, der von Pilzen mehr versteht als von Politik. Und so verständlich die Äußerungen von Stanišić auch sind, sie verlieren ihre Kraft durch die Inszenierung, weil dies eine zynische Barnumiade über die Opfer hinweg ist. Über dem Feuilleton thront eine Stinkmorchel. Der Pilz des Jahres. Die gemeine Stinkmorchel strömt Aasgeruch aus, das lockt die Fliegen an. Im Volksmund nannte man den Phallus impudicus daher auch Leichenfinger. Sie wachsen gerne an Grabhügeln. Besser kann man den Diskurs um Handke nicht beschreiben. Stinkender Aas der noch die Fliegen anlockt. Scheiß auf Preise.

 

Streifschuss

vom 11. Oktober 19

 

Anlass: Tanz der Gerippe

 

Fressen und
gefressen werden

 

Listerien auf der Fertigpizza, Plastikteilchen im Toast, Fipronil in Eiern, EHEC auf dem Käse. Die Verantwortlichen der Lebensmittelindustrie nehmen das Wort „Endverbraucher“ sehr ernst. Die Tierschutzorganisation Peta vermeldet allein im Jahr 2018 mehr als zwei Lebensmittelskandale pro Monat. Am härtesten trifft es natürlich dabei Alte, Kranke und Kleinkinder. Kurz die, die am wenigsten fit sind für diese Gesellschaft. Damit betreibt die Nahrungsmittelindustrie auf vorbildliche Weise natürliche Auslese. Da die moderne Wissenschaft und Technik inzwischen dafür sorgte, dass immer mehr Menschen immer älter werden und wir einen demografischen Wandel erleben, der eine ebenso herausfordernde Katastrophe ist wie der Klimawandel, sorgt unsere fürsorgliche Nahrungsmittelindustrie mit Hilfe verseuchter und überzuckerter Nahrungsmittel dafür, dass die Überbevölkerung gebremst wird. Die Verantwortlichen der Nahrungsmittelindustrie sind auch Rebellen! Denn mit ihren vergifteten Produkten fordern sie uns geradezu dazu auf, zurück zur Natur zu gehen. In Zusammenarbeit mit der Landwirtschaftsindustrie führen sie uns in die postantibiotische Ära und säubern unsere Städte von Krankheit, Alter und Siechtum. Gemeinsam mit dem künstlich geschaffenen Pflege- und Ärztenotstand verhindern Landwirtschafts- und Nahrungsmittelindustrie die Überalterung, sorgen wieder für eine natürliche Sterblichkeitsrate auch bei Kleinkindern. Die von uns frei gewählte Regierung unterstützt sie dabei natürlich kräftig und fördert den Export verdorbener Nahrungsmittel auch ins Ausland. So werden wir reicher an Geld und ärmer an Menschen die das überleben können. Bald sind die Milliardäre unter sich und erfreuen sich einer schönen neuen Welt. Danke Nestle, danke Wilke, danke Bauernverband, danke auch an die Automobilindustrie, die durch Abgase und unkontrollierbare PS-Monster den unvergifteten Rest von der Straße räumen.

 

Streifschuss

vom 05. Oktober 19

 

Anlass:

Endlich Zeit liegen zu bleiben

 

Kongruente Dissonanz

 

Vor gut 3000 Jahren auf seinem Weg nach Athen , um dort die Königswürde anzutreten, traf Theseus auf einen üblen Banditen. Prokrustes hieß in Wahrheit Damastes, der Bezwinger. Er hatte zwei Betten, ein kurzes in das er die Langen legte, in dem er ihnen die Beine abhackte und ein langes Bett in das er die Kurzen legte indem er ihnen auf seinem Amboss die Beine streckte. Theseus hat diesen Folterer dann selbst in Stücke gehauen. So was ist nötig, um König zu werden.
Ich bin ein Prokrustes-Bettlagerer. Das Bett in dem ich liege ist zu klein. Das Bett in das ich will, ist zu groß. Mal hacke ich mir die Beine ab, dann wieder versuche ich mich zu strecken, bis auch hier die Beine am Rumpf abgerissen werden. Nicht in dieses Leben zu passen, ist vermutlich keine originäre Erfahrung. In einer verwalteten und durch vielfache Abhängigkeit gestalteten Welt ist es sogar die einzige kongruente Dissonanz. So entkommen wir unserem eigenen Versagen nie. Schon die Tatsache, dass wir Sauerstoff  benötigen um zu leben, zeigt uns: Das Leben ist kein Zuckerschlecken. Und gehen wir an die frische Luft atmen wir 78 % Stickstoff ein, ein Stoff der Lebewesen erstickt. Das stößt einem schon sauer auf und lässt einen hyperventilieren. Während wir also langsam verrosten (Oxidation) und allmählich ersticken warten wir auch noch auf Meteoriten, die Atombombe, Außerirdische die uns versklaven oder einfach nur auf das Implodieren unserer Sonne. Oben ist der Himmel, unten die Hölle. Wer’s glaubt… So wird mein kleines irdisches Dasein von den Behörden (diesen Wegelagerern auf meinem Weg nach Athen) weit mehr vor sich her getrieben, als von all den kosmischen und metakosmischen Kuriositäten. Hier nicht zuhause zu sein fühlt man zusätzlich bei all den Kröten die man zu schlucken hat, anstatt sie ausgeben zu können. Dann begegnet man auch ziemlich regelmäßig Menschen, die am Denken scheitern wie die Eintagsfliege an der Langlebigkeit. So bleibt die gewöhnliche Eintagsfliege skeptisch, wenn man ihr versucht klarzumachen, dass am Abend Schluss ist. Aber sagt nicht jede Uhr in steter Regelmäßigkeit die Zeit an? Mag sie auch von Cartier sein. Gegenwehr zwecklos. Reichtum könnte helfen. Nihilismus hilft wenig. Aber da Reichtum für den kleinen Mann von denen da oben verweigert wird, bleibt nur noch der Nihilismus. Verneinung ist also für die Armen. Der Mittelstand muss sich mit einem Dualismus abfinden und im Zwischenreich regelmäßig vom Radar erfassen lassen. Kein Wunder, dass immer mehr unter dem Radar fliegen und lieber verneinen, wenn das Ja zum Leben behördlich verhindert wird. So wird’s Zeit für den Untergang, da Höhenflüge kaum noch drin sind. Insofern wäre es fast besser liegen zu bleiben, statt aufzustehen. Das ist kongruente Dissonanz.

 

Streifschuss

vom 03. Oktober 19

 

Anlass: 100 Jahre Germanisierung 

 

Ein Grund zum Feiern

 

70 Jahre Grundgesetz und 30 Jahre Wiedervereinigung machen zusammen 100 Jahre und das ist in der Tat ein Grund zum Feiern. Wer weiß noch, wo das Grundgesetz entstanden ist? Genau, im August 1948 auf der Herreninsel im Alten Schloss in Zimmer Nr. 7, wo einst König Ludwig II speiste. Es waren 11 Männer – klar war ja nicht die Fraueninsel – die sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit vertragen mussten. Man fragt sich schon, ob die sich so gut verstanden haben. Saß der Sozi Hermann Brill, der die Widerstandsgruppe Deutsche Volksfront gegründet hatte vielleicht neben Justus Danckwerts? Und haben die beiden über den 25. August 1941 geredet wo Danckwerts gemeinsam mit Generalsquartiermeister Eduard Wagner und dem Generalmajor Hans von Altenberg die Etablierung des Reichskommissariats Ukraine beschlossen, welche zur Ermordung von 30.000 Juden führte?  Oder wie erklärte der Reichsbotschafter Theodor Kordt seine Parteimitgliedschaft gegenüber Carlo Schmid (dem Hauptverfasser des Grundgesetzes) der einmal den Nationalsozialismus als „Philosophie von Viehzüchtern, angewandt am verkehrten Objekt“ bezeichnete.
Wir wissen es nicht. Aber warum wurde es noch nie verfilmt? 11 Männer zwei Wochen lang eingesperrt in einem Schloss. Es ist August, also sehr warm. Der Anthroposoph Anton Pfeiffer leitet den Konvent. Man sieht schon: Nur Männer, ein Schloss, ein Konvent. Diese kleine Tafelrunde hat mit Merlins Zauberstab eine Basis geschaffen für inzwischen 70 Jahre Demokratie. Doch vor 29 Jahren und wieder im August, am letzten Augusttag 1990 unterschrieb ein gewisser Günther Krause auf Ostseite den Einigungsvertrag.  Der Informatikprofessor Günter Krause war dann aber auch ein frühes Opfer dieser Einigung, als es in seiner Amtszeit als Verkehrsminister in Mecklenburg-Vorpommern zu  Unklarheiten kam in Bezug des Verkaufs von Autobahnraststätten an eine holländische Hotelkette, wo wohl auch nebenbei ein paar private Grundstücksgeschäfte abliefen. Kurz darauf stürzte Krause endgültig über die Putzfrauenaffäre, weil er sich über Staatskosten eine private Haushaltshilfe bezahlen ließ. Danach ging es privat auch nicht besser, er häufte Mietschulden an, zahlte seine Sozialbeiträge nicht, war privat insolvent und musste schließlich ins Gefängnis. Ein tiefer Fall für die Freiheit Ostdeutschlands.  
Bringt man die beiden Feierlichkeiten zusammen, dann ist Björn Höcke ein Klon aus beiden Partys. The Biest of Ost mit seinem rechten Flügel im Kampf gegen die Ritter der Tafelrunde und Verteidiger des Grundgesetzes, dem Heiligen Gral unserer Zeit. Wenn in hundert Jahren noch eine Filmindustrie existiert, wird ein Schüler von Roland Emmerich daraus einen Historien-Blockbuster machen wo die Fetzen fliegen.

 

Streifschuss vom 22. September 19

 

Anlass: Massenbewegungen

 

Simulierte Hoffnung versus simulierte Verzweiflung

 

Als geübter Nihilist kenne ich mich in der Sinnfinsternis ganz gut aus. You must always face the curtain with a bow. Weder hat das Leben irgendeine Bedeutung, noch einen Nutzen im Sinne von Lebenssinn. Wer im Leben moralisch agiert, hat sogar eklatante Nachteile (siehe Bild). Und ein Art Selbsterfüllung ist geradezu lachhaft, wenn ich an den Typen denke, der ich vor 10 Jahren war oder gar vor 20 Jahren. Beide haben nichts mit mir zu tun. Die 20.000 aneinander gereihten Tage die seit meiner Geburt vergangen sind, haben meinen Körper erst biologisch reifen lassen, ihn reflexhaft angepasst und danach verfaulen. And death’s the final word. Da ich inzwischen auf mehr Zeit zurückblicke als nach vorne, sind diese 20.000 Tage eine Art Last, die mich Richtung Abgrund schieben. Wer ein Warum zum Leben hat, sagte einst Viktor Frankl, der erträgt auch jedes Wie. Das lästige Wie ist ein wenig weniger lästig, verfolgt man ein Ziel (siehe Bild). Frankl entdeckte den Sinn seines Leben im KZ Ausschwitz. Mitten in der Verzweiflung, in trostloser und hoffnungsloser Situation fand er Trost und Hoffnung im Vorgriff auf die Zukunft. Er stellte sich vor, wie er in einem großen und schönen, hellen Saal eine große und bedeutende Rede hält.
In unseren jetzigen westlichen und reichen Industrienationen ist es aktuell geradezu andersrum. Wir halten große und bedeutende Reden darüber, wie schrecklich unsere Zukunft sein wird. Nun. Bedenken Sie noch einmal: dieses Leben hat weder eine Bedeutung, noch einen Nutzen. Und bedenken Sie nun, was Viktor Frankl gerade in seiner schrecklichsten Stunde tat! Stellen Sie sich nun die schreckliche Zukunft vor, von der gerade ständig die Rede ist. Und stellen Sie sich nun in dieser Zukunfts-Vorstellung  zugleich vor, wie Sie Hoffnung und Trost auf eine noch spätere aber gute Zukunft finden. Ein kleines Gedankenexperiment, das uns klar machen soll, wie sehr wir uns auf eine Matrix der Simulation eingelassen haben. Das Gehirn der Menschen funktioniert so. Die Welle der Empörungen, die zurzeit als Massenbewegung in vielen politischen, gesellschaftlichen Diskursen stattfindet (Feminismus, Umwelt, Migration) ist für die meisten Empörten reine Simulation. Weder erleben die Klimastreikenden in ihrem kapitalistischen Kokon die realen Umwelt-Katastrophen, noch sind die meisten PEGIDA-Demonstranten von der Anzahl der Zuwanderer besonders betroffen (die meisten Migranten werden in Italien, Griechenland, Türkei aufgenommen, wo der Wohlstandsmensch höchstens Urlaub macht). Die Menschen, die von Ausgrenzungen betroffen sind benötigen Opferschutz und können sich nicht wehren. In den Massendemonstrationen marschieren hauptsächlich Integrierte. Die Empörung, die Aufregung, die Angst und die Wut ist in vielen Gehirnen eine Simulation. Gefühle werden simuliert und in Massenbewegungen umgesetzt. Wie wäre es einmal mit einer Demonstration „Hey, wir sind total happy einen gutbezahlten Job zu haben“? Oder „Hey, die U-Bahn fährt alle fünf Minuten, Wahnsinn!“? Oder „Hey, ich kann mir alle halbe Jahre das neueste Smart-Phone kaufen, irre!“? Oder „Hey, ich hab’s nur fünf Minuten zum Discounter, wo es alles gibt, das ganze Jahr über!“? Oder „Hey, es gibt so viele nette Kneipen in der Stadt, wo ich mich mit meinen besten Freunden treffen kann, super!“?
Aber in der Tat, es ist schon zum Verzweifeln, wenn man an die Zukunft denkt…
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Streifschuss

vom 07. September 19

 

Anlass: Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit

 

 

 

Klimaschutz ist ein Gerechtigkeitsproblem

 

Konsumniveau und die Darstellung materiellen Reichtums machen den Unterschied. Man spürt sogar in der U-Bahn, ob ein Fahrgast freiwillig mitfährt oder gezwungenermaßen, weil er sich kein Auto leisten kann. Das macht den Unterschied. Man könnte sich ja trotzdem gegenseitig achten. Aber selbst wenn der sehr gut angezogene und mit dem neuesten Mobiltelefon ausgestattete Fahrgast die ermüdete und vom Alltag gestresste alleinerziehende Raumpflegerin anlächelt, verbessert das nicht die Selbstachtung der alleinerziehenden Raumpflegerin, die sich in dem Augenblick gegenüber diesem jungen, erfolgreichen, metrosexuellen und sehr freundlichen Mann fühlt, als sei sie ein ausrangierter Wisch-Mob. Warum lächelt sie dieser Typ eigentlich an? Und abgesehen davon: in zehn Jahren fährt dieser junge, erfolgreiche und freundliche Jurist nicht mehr U-Bahn, während die alleinerziehende Raumpflegerin in der immer noch gleichen Lebenssituation drin steckt. Ihren Traum Künstlerin zu werden hat sie längst aufgegeben. Während  beide in der gleichen U-Bahn sitzen, schaut der eine auf ein weites Feld mit vielen tollen Möglichkeiten, und die andere schaut auf eine enge Gasse, die eher schmaler als breiter wird. Ihre Depressionen bekommt sie nur mühsam in den Griff. Der Vater des jungen Mannes ist ein angesehener Unternehmer und die Mutter eine Kinderärztin mit eigener Praxis. Der Vater der alleinerziehenden Raumpflegerin ist längst verstorben, war zuletzt ein arbeitsloser Hilfsarbeiter. Die Mutter wird gerade dement und erkennt ihre eigene Tochter nicht mehr. Ein Pflegeheim kann sie sich nicht leisten. Die U-Bahn ist das egalitäre Vehikel einer elitären Gesellschaft mit sozialer, persönlicher und umweltbedingter Ungleichheit. Die U-Bahn fährt alle in die gleiche Richtung, doch jeder einzelne Fahrgast fährt in eine andere. Es ist ein Wunder, dass U-Bahn-Fahrten friedlich verlaufen. Die Fahrtkosten orientieren sich am Durchschnittseinkommen. Dieses Durchschnittseinkommen orientiert sich am Median. Doch wie wir an diesem Beispiel gesehen haben, steigt das Einkommen nicht linear, sondern progressiv an. Dadurch steigen auch die Preise von materiellen Gütern relativ. Das gilt auch für das Einheitsticket (365 Euro), welches die Regierung aktuell plant. Die Raumpflegerin verdient 15.000 Euro im Jahr, der Jurist 30000 Euro. Während für die Raumpflegerin die Fahrkarte 2,5 Prozent ihres Lohnes ausmacht, sind das für den Juristen grade mal 1,2 Prozent. In zehn Jahren verdienen die Raumpflegerin 17000 Euro und der Jurist 50000 Euro. Eine Fahrkarte kostet für die alleinerziehende Raumpflegerin 2,1 Prozent ihres Lohnes. Für den Juristen hat sich der Fahrpreis (0,7 Prozent seines Einkommens) inzwischen fast halbiert. Jetzt wird die Fahrkarte entsprechend teurer gemacht, weil ja im Median das Durchschnittseinkommen gestiegen ist. Für die Raumpflegerin ist das eine Katastrophe. Für den Juristen eine Bagatelle. Die Raumpflegerin muss weiter U-Bahn fahren. Der Jurist macht es nur gelegentlich und weil er ein ökologisches Gewissen hat. Unsere U-Bahn aber fährt gleichmütig ihre Strecke ab. Die Fahrgäste wurden still und heimlich ungleicher. Was für die U-Bahn gilt, gilt für alle anderen materiellen Güter. Der eine ist freiwillig ein guter Mensch. Die Raumpflegerin muss ein guter Mensch sein. Gelegentlich pfeift der Jurist auf seine ökologische Bilanz und fliegt in den Urlaub. Die Raumpflegerin kann sich diesen Flug nicht leisten und bleibt unfreiwillig am Boden. Der Jurist leistet sich freiwillig hochwertige ökologische Produkte. Die Raumpflegerin muss ökologisch minderwertige Ware konsumieren. Der eine ist freiwillig gut. Die andere unfreiwillig böse. Scheiß auf fridays for future, wenn man keinen Gerechtigkeitsplan hat. 

 

Streifschuss vom 03. September 19

 

Anlass: Bildungsmisere und aufkommende Ideologien

 

Wer sich bildet sollte wissen, was er nicht weiß

 

Bildungsziel ist, neben der Vermittlung von Wissen dies, zu lehren dieses vermittelte Wissen auch kritisch hinterfragen zu können. Wer Fakten zusammenträgt, bestimmt damit auch die Auswahl der Fakten und niemand ist in der Lage heutzutage, ein Wissensgebiet vollständig zu überblicken. Der subjektive Überblick lässt sich zudem nicht ganz vermitteln. In diesem Mangel liegt eine Chance für die Bildung. Jederzeit ist jedes Wissen fragil und man könnte darüber verzweifeln, dass selbst dies fragile Wissen in sich selbst nur fragil vermittelbar ist. Schon vorangestellt ist dabei der Wissensmangel des Lernenden. So trifft die subjektive Auswahl von Fakten auf ein Subjekt, das selbst von dieser Reduktion abstrahiert. Der folgende Widerspruch des Lernenden ist damit ein Widerspruch des Mangels von zwei Seiten. Einmal des Mangels des Lehrenden alles zu wissen und andererseits des Mangels des Lernenden, selbst dies mangelnde Wissen zu wissen. Worin liegt nun die Chance der Bildung? Der Widerspruch des Lernenden aus dem Mangel des Mangels weist über die Fakten des jeweiligen Wissens hinaus. Daher kann der Lehrende nie bloß bei der Vermittlung von Fakten verweilen, sondern muss methodisch transparent erklären können, wie er selbst als Lehrender zu seinen Fakten kam. Bildung baut auf Bildung auf. Hat der Lehrende kein Bewusstsein seines eigenen Mangels, kann er gar nichts lehren. Der falsche Philosoph erlangt das Wissen, ohne fähig zu sein, es unter Rücksicht auf die Fähigkeiten seiner Schüler weiter zu geben. (Al-Farabi / Kitab) Ein Bewusstsein des Lehrenden über die Fähigkeiten des Lernenden, erlangt der Lehrende nur über sich selbst als Lernenden. Die Autorität des Lehrenden besteht nicht in der Überlegenheit des Wissens, sondern in der Bewusstheit des Lehrenden als Lernender. Wer weiß, was er nicht weiß kann dem Lernenden viel besser ein Bewusstsein für den Mangel an Wissen vermitteln. Das Bildungsziel ist also nicht die Anhäufung von Wissen, sondern die Vermittlung des Bewusstseins eines Mangels an Wissen. Unser gesamtes Bildungssystem ist in diesem Sinne fehlgeleitet und baut auf einer autoritären Struktur auf, die weit hinter den Begriff der Mündigkeit (Kant) zurückfällt. Die augenblickliche Krise der Demokratie und die Anfälligkeit für Ideologien aller Art ergeben sich aus dieser autoritären Bildungsstruktur. Der Anpassungsdruck des Lernenden verhindert weiter, dass dieser sich des Mangels seines Wissens bewusst werden kann. Gezwungen, Wissen permanent zu akkumulieren treibt dem Lernenden jedes Mangelbewusstsein aus. Wenn aber niemand mehr weiß, was er nicht weiß, ist jedes Bildungsziel verstellt. Wissen vermittelt sich also nicht durch weiteres Wissen, sondern durch Bewusstwerdung dessen, was ich nicht weiß. Die pädagogische Irrfahrt seit Jahrzehnten fördert eine Hybris sowohl der Lehrenden als auch der Lernenden. Wenn dem Lernenden nicht vermittelt wird, dass der Lehrende nicht alles weiß, und der Lehrende dies auch nicht weiß, dann wissen beide nichts. Eine solche Bildung ist hohl. Der Lernende stellt schnell fest, dass die Fakten des Wissens mangelhaft sind, weil sie nicht in seinen Kopf hinein kommen. Sie kommen nicht in seinen Kopf hinein, weil der Schein, dass die Fakten schon alles seien, trügt. Dieser Betrug am Lernenden untergräbt die Fähigkeit des Lernenden zu verstehen. Der Lernende misstraut am Ende gar sich selbst und erliegt einer Konfusion, die ihn für Ideologien aller Art empfänglich macht.  Bildungsziel ist nicht die Akkumulation von Wissen, auch nicht die bloße Realitätstauglichkeit dieses Wissens. Bildungsziel ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was man nicht weiß. Der Lehrende gewinnt seine natürliche Autorität, indem er vom Katheder herabsteigt und sich dem gleichen Risiko aussetzt wie der Lernende auch. Das bedeutet nicht die permanente Education des Lehrenden, denn das wäre wieder nur Akkumulation von Wissen, einem falschen Idealismus geschuldet zu glauben, man könne alles wissen. Es bedeutet vielmehr, dass sich der Lehrende im Moment des Lehrens dem Risiko aussetzt zu lernen. Ein Lehrender der sich weigert vom Lernenden zu lernen, lehrt auch nichts. Aber genau dies ist der traurige Zustand der Bildung heutzutage und genau dies ist autoritär und man muss sich nicht wundern, dass diese autoritären Strukturen die Demokratie zerstören.

 

Streifschuss

vom 29. August 19

 

Anlass:

Ballaststoffe in der Verlagsbranche

 

 

 

Warum es falsch ist, Tradition per se als Ballast zu bezeichnen

 

Der Verlag &Töchter meinte in einem Interview mit dem Börsenblatt: Die Branche muss den Ballast der Tradition abschütteln, von ihrem hohen Ross steigen und vor allem flexibel und offen sein. Ist das nur eine poppige  Gedankenlosigkeit, geschuldet dem Druck der medialen Inszenierung? Oder ist es schon bar jeden Gedankens?  Da der Begriff der „Tradition“ hier völlig unsinnig verwendet wird, entsteht der Eindruck, dass es bar jeden Gedankens hingerotzt wurde. Es scheint aber nur so. Die Tradition ist eine oral weiter tradierte normative Wahrhaftigkeit der die Wahrheit schriftlicher Fixierung gegenüber steht. Der Verlust an Wahrheit durch die Tradition wird in schriftlicher Fixierung aufgefangen. Dabei kann es aber bei der schriftlichen Fixierung zu einem bloßen Bericht verkommend einen Verlust von Wahrhaftigkeit geben. Literatur ist die Brücke zwischen der traditionellen Wahrhaftigkeit und der schriftlich fixierten Wahrheit. Literatur hält sich nicht an Wahrheiten, erfindet, spielt mit beidem, mit der oralen Tradition und dem fixierten Bericht. Die Verlagsgründerinnen von &Töchter entspringen einem Masterstudiengang Buchwissenschaft der LMU. Man kann sie als gebildet bezeichnen. Tradition per se als Ballast zu bezeichnen, erscheint dagegen erschreckend dumm,  verweist aber auf ein viel tieferes Dilemma. Sie sind nicht alleine mit ihrer scheinbaren Dummheit. Im vermeintlich kritisch gemeinten Versuch sich innerhalb der Verlagsbranche als Erneuerung zu begreifen, verwüsten sie jegliche Diversität. Denn gerade in der Tradition begründet sich die Vielfalt, welche die sieben Frauen vom Verlag & Töchter angeblich wieder herstellen will. Das ist kein bloßes Missverständnis oder nur begriffliche Unschärfe. Das ist ein Symptom. Vielfalt meint heute Einheitsbrei und in seiner orwellschen semantischen Paradoxie spiegelt sich das ästhetische Grundproblem des Kapitalismus. Da im Kapitalismus alles warenförmig ist und jeder seine erzeugte Ware möglichst vervielfältigen und verkaufen will, ist angekündigte Vielfalt immer das Gegenteil. Wäre es nicht so, würde ich ja sagen: Ich möchte möglichst wenig von meiner Ware verkaufen, damit andere Waren auch gekauft werden können. Das wäre tatsächlich Vielfalt. Doch diese ökonomische Selbstbegrenzung ist zugleich ökonomischer Selbstmord. Natürlich will der Verlag &Töchter, dass die von ihnen produzierten Bücher verkauft werden, nicht die anderen. Sie stellen sich gegen die Tradition, weil sie unter dem Begriff „Tradition“ nur die Konkurrenz sehen. Natürlich ist das nicht strafbar und – wenn man gutmütig ist – sogar als hübscher Trick anzusehen. Aber durch das semantische Paradox, dass der Begriff Tradition synonym für Konkurrenz eingesetzt wird, ist es ein höchst problematischer Moment der Verdummung.

Sind nun diese sieben Frauen nicht dumm (wovon ich ausgehe) dann tragen sie durch ihre unkritische und naiv wirkende Selbstvermarktung zur Verdummung bei. Dass der Begriff Tradition pejorativ behandelt wird, ließe sich noch einsehen. Denn die hinter verschlossenen Türen nicht schriftlich fixierten Absprachen und Verhaltensmuster einer patriarchalischen Verlagswelt beruhen durchaus auf schlechten Traditionen und hier könnte man in der Tat ansetzen. Aber das machen die sieben Frauen vom Verlag & Töchter nicht. Sie machen das exakte Gegenteil und festigen die schlechten Traditionen indem sie den Begriff insgesamt verteufeln als Ballast - abgesehen davon, dass es absurd ist, das was so oder so immer existiert als Ballast zu bezeichnen. Hätten sie einfach nur das Wort „schlechte Traditionen“ verwendet und nicht von Ballast, sondern von Fehlverhalten gesprochen, von mangelnder Wahrhaftigkeit in den patriarchalen Verlagsstrukturen, dann wäre alles in Ordnung. Aber dann wären sie auch nicht so smart daher gekommen und wären sofort als feministisch und unverkäuflich stigmatisiert worden. Das ist ein ästhetisches Problem des Kapitalismus. Es ist auch ein Grund dafür, dass sich im Kapitalismus – einer nur warenförmigen Gesellschaftsordnung - nichts ändern kann. Daher muss man den Kapitalismus und die Vorherrschaft der Warenform als Reichtum beenden, denn das ist der eigentliche Ballast, nicht die Tradition.

Streifschuss vom 27. August 19

 

Anlass: Hauptsache mein Bart wächst ohne Wachstumsmanipulation

 

Frame, Prime und Nudge – die Trinität der Deus oeconomicus

 

Wenn man von transmissibler humaner Enzephalopathie spricht, zucken die meisten Menschen mit den Schultern und wenden routiniert ihr Grillfleisch. Wenn man von Rinderwahnsinn spricht, sind dann doch einige dabei, die auf Beilagen umsteigen. Framing ist allgegenwärtig aber nicht die einzige Methode die natürliche Dummheit der Meisten auszunutzen. Eine weitere hübsche Methode ist das Priming. Konfrontiert man einen Menschen häufiger mit dem Wort „alt“, wirkt sich das zum Beispiel auf seine Bewegung aus, er bewegt sich langsamer und schwerfälliger. So sind die Gesundheits- bzw. Krankheits-Hinweise auf den Zigarettenpackungen eine Form des Priming, ebenso die glücklichen, gutaussehenden und jungen Menschen die hochprozentigen Schnaps oder reinen Zuckersirup trinken. Eine weitere Methode ist das Nudging. Das Abbild einer Fliege in einem Urinal führt dazu, dass 80 Prozent des Urins auch in der Schüssel landet. Ohne Fliege brunzen die meisten Männer daneben. Ein kleines Fußballtor ist sogar noch effektiver. Der Mensch (insbesondere der Mann) ist vornehmlich dumm. Soziale Normen führen einfach dazu, dass wir uns auch so verhalten. So gehen wir selbstverständlich wählen, auch wenn es nichts mehr bewirkt, seit Jahrzehnten bereits. Oder ich werde regelmäßig an das Zahlen meiner Steuer erinnert, das erleichtert mir es auch Steuern zu zahlen. Oder ich werde zu irgendwelchem Schwachsinn befragt, das konfrontiert mich mit meinem Handlungswillen. Die Frage der netten Kellnerin ob ich noch ein Bier will, ist pures Nudging, denn meistens trinke ich dann auch noch eins. Unser Bewusstsein wird also ständig geframt, genudgt und geprimt. Man kann sich eigentlich nichts vorstellen was demütigender ist, als diese permanente Manipulation. Und es ist völlig egal, ob sie gut gemeint ist oder nicht. Gut, wir Menschen sind dumm, schwach und suggestibel. Aber ist das wirklich ein Grund, uns derart fertig zu machen? Allerdings ist es schwieriger als man glaubt, es sein zu lassen. Egal ob das Gemüse in Augenhöhe steht oder der Donut, in beiden Fällen wurde genudgt. Alles auf den Boden zu stellen würde das Einkaufen allerdings mühsam machen. Und ein Schelm könnte dahinter schon wieder Nudging vermuten, dass wir uns beim Einkaufen auch noch sportlich betätigen sollen. Schon mit diesem Text habe ich geframt was das Zeug hält. Und alle fühlen sich jetzt irgendwie schlecht. Also hilft nur eins: Klüger werden und sich entscheiden. Wer sich jetzt immer noch ausgetrickst fühlt ist nur zu faul dazuzulernen. Und die meisten Menschen sind faul. Selbst Luther hat es nicht ganz geschafft, uns die Arbeit als Heile-Heile-Segen aufzuframen. Immer noch lieben wir den Freitag, weil er das Wochenende ankündigt. Wenn ihr also mein Gemaule über diese Welt nicht mehr hören wollt und trotzdem nicht aufhören könnt zu lesen, dann lacht einfach drüber. Ich kann eh nix dagegen machen.
Vielleicht hilft es ja, wenn man bewusst beim Pinkeln an der Fliege vorbeipinkelt und beim Einkaufen immer die Sachen kauft, die ganz unten sind und immer das Gegenteil denkt von dem was man liest und wenn man an was erinnert wird sich sofort dagegen vorzustellen wie man das wieder vergisst.  In der Politik nannte man das früher „Opposition“. Gibt es schon lange nicht mehr, sowenig wie es bald überhaupt noch was gibt, weil der ganze Scheiß global zum Himmel stinkt. Wenn ihr also mal wieder lest „die Welt geht unter“, denkt einfach drüber nach, was ihr morgen machen wollt. Lasst euch nicht verunsichern.

 

Streifschuss vom 24. August 19

 

Anlass: Nicht geboren zu werden ist weit das Beste. Sophokles. (497/96 - 406/5 v. Chr.)

 

Für und wider des Antinatalismus

 

Wenn man sich vorstellt, dass der Mensch einer Turnübung die mit einem Grunzen abschließt entstammt, oft aus einem unachtsamen Moment zur Frucht des Leibes geworden, wenn man dann bedenkt, dass dieser unachtsame Moment jahrzehntelanges morbides (weil von Beginn an dem Tode geweiht) Gezappel hervorruft, dann kann man die Antinatalisten natürlich verstehen. Die Lust ist ein Betrug, illusionär und als Wollust eine Katastrophe, die weiteren Betrug hervorruft (Sex sells).

Heute könnten wir darauf verzichten. Die Reproduktionsmedizin ist nicht nur eine Möglichkeit den Betrug der Evolution zu bekämpfen, sondern auch eine Option der Geburtenkontrolle. Könnte man sich eine Welt vorstellen, einen Staat, in dem die Kopulation per Strafe verboten ist? Unsere Überwachungstechnik ist auch dazu schon bereit. Kein Ort mehr an dem man diesem Götzen Geschlechtsverkehr noch ungesehen huldigen könnte. Für die unverbesserlichen Lüstlinge wäre die Selbstbefriedigung durch Cybersex eine Alternative. Es würden die Geschlechtskrankheiten rückgängig werden und im Rausch erzeugte Krüppel gäbe es auch nicht mehr. Dieser faschistische und antinatalistische Staat wäre längst möglich. Und was möglich ist, wird auch geschehen. Es gibt keine ausreichenden Gründe, die von der Evolution eingeführte Peinlichkeit beizubehalten. Der einzige Grund ist die Lust. Und diese Lust ist eine Betrügerin, Illusion und in jeder postkopulativen Erschöpfung mit einem Hauch Ekel  besetzt. Die Verliebten erleben diesen Ekel nicht, weil ihr Wahrnehmungsfilter durch Neurotransmitter geflutet wird. Doch Haut, Gerüche, Schleim, Körperflüssigkeiten, Bakterien und Viren, Pilze und ihre kleinen Sporen sind bei jeder dieser Turnübungen anwesend. Doch die Evolution ist geschickter als wir armen und leidgeprüften Menschen ahnen. Denn dieser Austausch von Erregern im erregten Zustand erzeugt eine verbesserte Abwehr. Bei jeder Kopulation immunisieren wir uns gegen das Leben selbst. Und warum? Um noch ein bisschen länger zu zappeln. Wer dieser Verrücktheit nicht ratlos gegenüber steht, kann nur selbst als verrückt betrachtet werden. Und diese Summe unserer Sinnestäuschungen ist in ihrer geheimnisvollen Art das Leben. Die Abstinenz ist nicht die ganze Askese und die Keuschheit moralisch-religiös konnotiert. Es geht nicht um Mäßigung. Es geht um völlige Enthaltsamkeit, ein umfassendes Zölibat, das in ihrer Zeichenhaftigkeit auf ein kommendes Reich verweist.  Die Auferstandenen sind in ihrer Leiblichkeit aus sich selbst entsprungen, autopoetische Geschöpfe in übernatürlicher Nähe zum Schöpfer selbst. Wir glauben doch nicht ernsthaft, dass Gott einer Kopulation entspringt. Das allererste, das Etwas, das vor allem anderen war, ist selbst eine Illusion, denn es ist als allererstes undenkbar. Leben ist eine Phantasterei. Zuweilen eine sehr begehrenswerte Phantasterei, zuweilen lästig bis unerträglich. Doch das Raffinierte am Leben ist, dass es gerade dann, wenn es unerträglich ist, seine begehrenswertesten  Züge annimmt. Denn die Liebe taucht immer am Horizont des Leidens auf. Wer nicht leidet, braucht nicht zu lieben, bedarf dieser Täuschung gar nicht. Diese Widersprüche sind das Elixier der Leidens- und Liebesreligionen. Die Heiden schlachteten die Christen, die Christen die Juden und die Juden die Muslime, und die Muslime wieder die Christen. So viel Liebe und Leid, dass es verständlich ist, diesem Elend in einem kurzen Augenblick der Zweisamkeit zu entkommen,  auch wenn es nur dazu dient weitere Liebe und weiteres Leid zu erzeugen.
Gegen die Aussage des Schöpfers von Ödipus gibt es daher nur ein einziges Argument: dass der Gedanke an die Auslöschung des Selbst auch des vorangegangenen Selbst unmöglich ist. Man kann es nicht denken, nie gewesen zu sein. Die aus diesem Gedanken folgenden Verwicklungen wären derart widerspruchsvoll, dass nichts unmöglich wäre. Der Antinatalismus ist zwar alt, aber er ist heutzutage eine postmoderne Kuriosität. Da jeder, der mit Sophokles argumentiert, logisch nicht sich, sondern andere meint (denn er selbst kann sich nicht mehr rückgängig machen), ist gerade der Antinatalist ein moralisierender Egoist.  Wir mögen das Leben verurteilen und am Leid anderer empathisch so mitleiden, dass wir es am Ende abschaffen wollen. Es bleibt aber bei allen Argumenten die Tatsache, dass wir sind – selbst wenn es eine Illusion wäre, ist eben die Illusion. Und dieser Tatsache zu widersprechen ist einfach nur kurios. Antinatalisten sind traurige Dummköpfe mit einer erheblichen Potenz zum Faschismus.

 

Streifschuss

vom 22. August 19

 

Anlass:

Was vernünftig ist, ist wirklich und was wirklich ist, ist vernünftig

 

 

Ohne eine Prise Idee ist alles Denken purer Scheiß

 

Hegels rauschhaftpoetische Sprachkraft kommt von einer Schnupftabakmischung, die mit Cannabis versetzt war. Dadurch befand sich Hegel ständig in einem euphorisierten Zustand, der sichtbaren und hörbaren Einfluss auf seine Sprache gehabt haben muss. Während einer Vorlesung soll der Philosoph so ausgiebig geschnupft haben, dass die Brösel auf dem Katheder ausreichten, um anschließend seine Hörer high zu machen. Georg Wilhelm Hegel lässt sich aber nicht nur im Rausch begreifen. Man muss auch ein guter Chiliast sein. Hegel kommt aus einer Pfarrer-Familie, hat in seinen frühen Schriften zur Theologie geschrieben. Sein Begriff vom Geist lässt sich nicht ohne Bezug zum Heiligen Geist nachvollziehen. Es ist spannend, dass Hegels Kritik an Kant dort ansetzt, wo Kant aufhört zu denken: Bei den Antinomien. Doch der Heilige Geist ist mehr als die Summe unserer kognitiven Fähigkeiten. Wenn man Widerspruch und Widerspruchsfreiheit zusammendenkt haben wir den Begriff bei Hegel. Das wurde meist missverstanden.  Es geht hier um einen ganz anderen Ansatz des Erkennens.
Wenn man das Erkennen als eine Art Werkzeug auffasst, eine Art Herangehensweise an das zu erkennende Objekt, dann wird durch diese Art der Herangehensweise, diese Art der Erkenntnis, das Objekt selbst quasi kontaminiert.  Würde man aber das Erkennen selbst als die Grundlage für das Werkzeug des Verstandes gelten lassen und nicht zum Werkzeug machen, dessen Bedingung es ist, wäre das Objekt als etwas erkennbar, das man jeweils vom durch den Verstand erkannte abziehen kann. Übrig bliebe der Begriff selbst als etwas, das sich selbst in seiner Idee von sich selbst begründet. Nehmen wir zum Beispiel Hegels Rechtsphilosophie. So wäre zum Beispiel die Gerechtigkeit so eine Idee. Hegels Rechtsphilosophie kommt vom Willensbegriff und dieser vom theologischen Willensbegriff. Weit mehr als bei Kant ist Hegels Wille frei. Im Grunde braucht Hegels Wille das Beiwort „frei“ gar nicht mehr, wäre nur ein Pleonasmus. Als Begriff ist der Wille eine Idee die sich selbst begründet. Mit dem Verstand erkenne ich zum Beispiel, dass eine Verteilung von Gütern auch an Bedürftige Teil einer Gerechtigkeit ist. Gerecht ist aber auch, dass jeder der nach diesen Gütern strebt, dafür etwas tun muss. In dem Augenblick verstrickt sich Gerechtigkeit in eine Antinomie, da jeder Einzelne nach seinem Familienstand in seinen Verdiensten beschränkt ist. Damit aber wäre jede Form von positivem Recht suspendiert. Der Begriff der Gerechtigkeit als vernünftige Wirklichkeit wäre hier dialektisch zu lösen durch die Auflösung eben dieser Antinomie. Die Befreiung aus den Beschränkungen des Familienstandes ist die Idee der Gerechtigkeit, die sich selbst im Subjekt verwirklicht. Nur dann kann auch jeder das Maß an Verdienst erreichen, das ihm die jeweiligen Güter zuführt. Dies ist nicht nur ein negativer Akt der Freiheit, sondern ein positiver Akt der Freiheit. Nun gilt es aber, die Familie zu schützen vor den Übergriffen des Staates. Die nächste Antinomie macht sich auf. Der Begriff der Gerechtigkeit als vernünftige Wirklichkeit muss nun jedem Einzelnen unabhängig von seinem Familienstand und bei Erhaltung seines natürlichen Familienstands ermöglichen, Güter nach Maß eines allgemeinen Verdienstes zu erwerben. Die Identität von Identität und Nicht-Identität würde sich damit im dialektischen Sinne Schritt für Schritt verwirklichen. Und dies ist ein positiver Geschichtsbegriff. Erst wenn allen – dem Arztsohn genauso wie dem Sohn einer alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin – bei vollem Erhalt ihrer familiären Besonderheit das gleiche Maß an Verdienst ermöglicht wird – ohne dass sie dabei von ihrem Familienstand abstrahieren müssten – um sich die jeweiligen Güter anzueignen, können wir von Gerechtigkeit sprechen. Das ist das Ergebnis einer Erkenntnis, die nicht als Werkzeug agiert oder als Medium, sondern sich als Erkenntnis selbst in der Idee der Gerechtigkeit verwirklicht.

 

Schreibt sich wie Zucker…, und hört nicht auf bevor es zu Ende ist. Jetzt merke ich immer mehr, was hier bei uns nicht mehr stimmt. Unsere Antinomie ist daher eine Bestimmung der Obrigkeit. Wir haben diese Obrigkeit mehr und mehr ausgeschlossen und damit die Dialektik unterbrochen. Die neo-römischen Verhältnisse können wir erst verändern, wenn wir die Gerechtigkeit auch mit der Staatsmacht denken. Ohne die Staatsmacht dialektisch mitzudenken verweigern wir nur das Denken und landen im Stillstand. All das Demokratie-Gerede ist ohne die Obrigkeit als negativer Bestimmung von Freiheit nicht zu denken. So lange es einen Staat gibt, gibt es gar keine Demokratie und ohne Demokratie keinen Staat. Der Staat ist damit aus dialektischen Gründen zu überwinden und zugleich zu verwirklichen. Das ist voll geiler Geschichtsrausch made by Hegel. Allein dafür muss man ihn lieben.

 

Streifschuss 15. August 19

 

Anlass: VroniPlag Wiki

 

Und die starken Männer?

 

Die Politiker die schon ihren Doktortitel zurückgeben mussten (zum Beispiel Karl-Theodor zu Guttenberg, EU-Politikerin Silvana Koch-Mehrin und die frühere Bildungsministerin Annette Schavan) sind peinlich genug. Aber vielleicht überschätzen wir diese Auszeichnung zum Doktor auch. Selbst wer sauber zitiert ist nicht unbedingt intelligenter. Nur zwanghafter. Zu prüfen wäre eher, ob der Doktortitel als Privileg vergeben wird oder vergeben wird, weil man bereits privilegiert ist. Ist es nicht bezeichnend, wenn gerade unsere Volksvertreter mit falschen Zitaten oder mit fremden Gedanken die sie als eigene Gedanken ausgeben, auffallen? Sind die Volksvertreter nicht auch ein Spiegel vom Volk? Fälscht das Volk und behauptet das Volk etwas zu wissen, was eigentlich nicht gewusst wird? Mir erscheint das Volk selbst schon als eine Fälschung. Es existiert nicht wirklich. Wie viel Einzelne ergeben eigentlich ein Volk? Sind Grenzen nicht eine Zumutung? Könnten wir nicht alle ein Volk sein? Von Afrika bis Europa, von Amerika  bis Asien? Wäre es noch eine Zumutung, die Stratosphäre als natürliche Grenze des Volkes zu sehen? Diskutiert wird bei den Plagiatsvorwürfen gegenüber Politikern also nicht, dass sie miese Denker sind und einen großen Scheiß wissen. Diskutiert wird hier, dass gerade sie, unsere Vertreter miese Denker sind und einen großen Scheiß wissen. Während die, die vertreten werden jederzeit miese Denker sein dürfen und jederzeit einen großen Scheiß wissen dürfen. Warum eigentlich? Warum müssen gerade die Politiker bessere Menschen sein? Sie vertreten uns doch! Und nach dem BGB ist das Stellvertreterrecht sehr deutlich. Bei einer Vollmacht ist der Vollmachtnehmer juristisch die Person des Vollmachtgebers im Bereich der erteilten Vollmacht. Also wäre der Politiker als Vertreter des Volkes qua Vollmacht durch das Volk juristisch das Volk. Da erhebt sich das Volk, wenn der juristische Stellvertreter seine Doktorarbeit fälscht. Das wird eigentlich diskutiert. Es ist eine zivilrechtliche Problematik. Der Vollmachtgeber Volk entzieht daher dem Vollmachtnehmer die Vollmacht. Aber das heißt nicht, dass das Volk besser ist. Wir wissen noch nicht mal, ob dieser Spiegel des Volkes sogar zutrifft. Egal. Selbst wenn das Volk aus miesen Denkern besteht und einen großen Scheiß weiß, hat es gerade daher die Politiker zu ihren Stellvertretern gewählt, damit die das besser machen. Das tun sie nicht. Dumm gelaufen. Nur: woher nehmen, wenn nicht stehlen? Schließlich kommen die Politiker selbst aus dem Volk. Sie sind Teil der miesen Denker und Teil von all denen die einen großen Scheiß wissen. Und wir – das dumme Volk – erwartet von diesen aus ihrer eigenen Mitte gewählten Frauen und Männern, dass sie was Besonderes wären. Schizophren wird es dann, wenn diese Politiker sich dann auch als was Besonderes fühlen und vom Volk gerade deshalb gehasst werden, weil sie sich als was Besonderes fühlen.

Vox populi vox Rindvieh. FJS war ein feister Bayer mit einem Einser-Abi und inzwischen vermissen ihn gerade die, die ihn gehasst haben. Nicht nur dumm gelaufen, sondern auch noch nostalgisch.

 

Streifschuss vom 07. August 19
 

Anlass: vor 50 Jahren starb Adorno weit weg von zu Hause

 

Asyl für Obdachlose reloaded

 

Wenige Tage zuvor hatte gerade Neil Armstrong an einem gewöhnlichen Montag um 3:56h morgens als erster Mensch den Mond betreten. Neun Tage später stirb Theodor Wiesengrund Adorno an einem gewöhnlichen Mittwochmorgen am 06. August 1969, weil sein Bergschuh zwickte. Die Analogie ist bemerkenswert. Armstrong weit weg von zu Hause auf dem Mond. Adorno weit weg von zu Hause in den Schweizer Bergen.  Es gibt kein richtiges Leben im Falschen endete ein Aphorismus aus der Minima Moralia. Selbst wer Adorno nicht kennt, kennt diesen Satz. That’s one small step for man… one… giant leap for mankind. Selbst wer den ulkigen Versprecher darin nicht erkennt, kennt diesen Satz, den Armstrong auf dem Mond sagte. Ein halbes Jahrhundert ist seit dem vergangen. Wir leben immer noch, obwohl wir eigentlich nicht mehr wohnen. Unsere lieblose Missachtung der Dinge hat sich längst gegen uns gewandt. Die menschliche Unbehaustheit zwischen Mond und Schweizer Bergen ist inzwischen ein gigantischer Immobilienkomplex der Vonovia SE geworden. Gehört es zu unserer Moral, nicht bei sich selber zu Hause zu sein? In einem überteuerten Schuhkarton, funktionell, praktisch, gut ist die Möglichkeit des Wohnens vernichtet worden. Unser aller Schuhkarton entwickelt sich gerade zu einer Blase und wenn die platzt, haben wir nicht mal mehr die Schuhe die uns zwicken könnten. Barfüßig im Freien, in Zelten lebend warten wir auf die Evakuierung durch Elon Musk. Mond und Mars sind weit genug entfernt, um die Unmöglichkeit des Wohnens zu illustrieren. Der Planet, unser aller Haus, ist im Arsch, der Schuhkarton geplatzt und die Rakete steht demonstrativ in der Rampe. Unser falsches Leben in fremdem Besitz verpflichtet uns zu eigentümlichen Renovierungsmaßnahmen. Was wir da täglich scheuern und wischen gehört uns nicht, ist nicht unser Zuhause. Dieses beständige ein- und ausziehen der Massen ist ein kleiner Schritt für Menschen, aber ein riesiger Sprung für Vonovia SE.

Streifschuss vom 28. Juli  19

 

Anlass: einfach mal loslassen

 

Von der Nützlichkeit es einfach sein zu lassen

 

Die Frömmigkeit geht sprachlich zurück auf das althochdeutsche Hauptwort froma, was in etwa Nutzen, Vorteil bedeutet. Ein Mensch ist also nichts weiter als tugendhaft, wenn er fromm ist. Dass im christlichen Sinne auch die Gottesfurcht und die Fähigkeit zur Spiritualität zu diesen Tugenden zählen, verdanken wir als zusätzliche Tugenden dem Christentum. Demut, Bescheidenheit, Ehrfurcht sind weitere Tugenden, die aus dem Gefühl entstehen, dass es noch etwas Höheres gibt, als den Menschen. Der Mensch ist nicht Gott, er ist Gott gleich. Die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz (Artikel 3 GG) ist die säkularisierte Form dieser Gottgleichheit. An die Stelle Gottes trat das Gesetz. Aber schon das erste Gesetz der Menschen kam von Gott. Die Säkularisierung der Menschenwerte resultiert aus dem Wissen, dass nicht Gott, sondern der Mensch selbst die Gesetze schuf. Aus der ursprünglichen Transzendenz wurde Immanenz. Wie das schon in der Philosophie Spinozas angedeutet wurde, in der die Anwesenheit Gottes in allem zur Ursache wird, aber eben nicht mehr über allem steht. Eine Lösung dieses Problems bietet der Evangelist Johannes mit einer reziproken Immanenz aus Gott-Vater und Sohn. Der Sohn lebt durch den Vater und überträgt dieses Höhere als Offenbarung die sich erfüllt. So konnte durch den Geist das Gesetz immanent werden. Die Gleichheit ist nicht Selbstheit, sondern Kongruenz. Dass immer weniger Menschen in den aufgeklärten Gebieten der Welt zu Fromm und Nutzen handeln, sondern aus Eigennutz und Selbstsucht beruht auf der Verwechslung von Gleichheit mit Selbstheit. Ein einfacher nächtlicher Blick in die Sterne oder ein Moment des Innehaltens und des Memento Mori würde uns schnell vergegenwärtigen, welcher Irrtum es ist, wenn das Geschöpf sich selbst für den Schöpfer hält. Wir mögen es blinde Evolution nennen und die Wissenschaft die Augen dazu. Nun. Es bleibt reziproke Immanenz. Es haftet uns an wie unsere Gliedmaßen, die wir nicht selbst geschaffen haben. Fromm oder nützlich an dem Gedanken der Transzendenz ist nicht ein Wissen, sondern ein Gefühl. Spiritualität heute könnte man am ehesten als intuitive Einordnung verstehen. Wer nur mit dem Verstand begreift, schließt einen großen Teil seiner eigenen Menschlichkeit aus. Hier ist die Angst das verleugnete Gefühl dieser Zeit. Angst ist eine objektunbestimmte Bedrängnis die viele Krankheiten unserer Zeit bestimmen: Bluthochdruck, Diabetes, Magen-Darm-Erkrankungen, Asthma, Muskelverspannungen. Diese Angst ist das Ergebnis fehlender Transzendenz. Unsere Handlungsfähigkeit beruht auf der Immanenz selbst Schöpfer zu sein. Wir geben die Kontrolle nicht ab und sind bald erschöpft. Der erschöpfte Schöpfer seiner selbst prägt die aktuelle Kultur der westlichen Industriestaaten. Wir müssen etwas ändern, aber nichts ändert sich. Ökonomie und Ökologie entziehen sich unserem Zugriff. Mit jedem Lösungsversuch taucht ein neues Problem auf. Diese Systemfalle ist die Falle der Immanenz. Würden Sie mich jetzt nach einer Lösung dieses Problems fragen, dann haben Sie nichts von dem verstanden, was Sie gerade gelesen haben. Geben Sie jetzt und sofort die Kontrolle auf. Keine Sorge, Sie bleiben handlungsfähig. Man nennt den Prozess „lernen“. Die Devotion, die Hingabe in der christlichen Theologie sollten Sie dabei nicht mit dem säkularen Begriff des Engagements verwechseln, sondern als Gefühl der Zuwendung begreifen. Es ist mehr ein Zulassen, Empfangen, sich hinwenden. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Sie nicht zu Gott bekehren. Bleiben Sie säkular. Diese kleine spirituelle Übung entspannt Ihre überstrapazierten Mandelkerne im Gehirn. Stellen Sie sich einfach vor, Sie fahren mit einem öffentlichen Verkehrsmittel auf festen Schienen und Sie vertrauen einfach Ihrem Chauffeur.  

 

Streifschuss

vom 27. Juli 19

 

Anlass:

Money, Money, Money

 

Superreich = Superscheiße

 

Ein Prozent der Weltbevölkerung verfügt über 40 Prozent des Weltvermögens, folgt man dem Gini-Index des italienischen Statistikers Corrado Gini (19. Jahrhundert). Wie auch immer man es berechnet, dürfte es eine Binsenwahrheit sein, dass wenige über viel Geld und viele über wenig Geld verfügen. Diese Ungleichverteilung zeigt sich in derzeit 2000 Milliardären auf der Welt. In den letzten 200 Jahren hat sich das Bruttoweltprodukt (der Wert aller Waren und Dienstleistungen eines Jahres) vervierhundertfacht, von 170 Milliarden (im 19. Jahrhundert) auf 70.000 Milliarden US-Dollar (2014).  Die 2000 Milliardäre haben davon 70 Prozent. Sie bestimmen die politischen Verläufe wie zum Beispiel die Koch-Brothers von Koch-Industries in den USA, die zusammen 120 Milliarden US-Dollar Vermögen haben. Sie bestimmen, wer Präsident wird. Damit wird klar, dass die Ungleichverteilung von Vermögen ein politisches Problem darstellt. Effektiver Altruismus wie ihn zum Beispiel Bill Gates oder Warren Buffett leben, ist zwar schön, aber auch ungerecht. Denn sie bestimmen ohne demokratische Absprache, wer Zuwendungen nötig hat. Eine Begrenzung der Armut existiert bereits. Relative Armut bedeutet, dass man weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens zu Verfügung hat und absolute Armut bedeutet, dass man über weniger als 2 Dollar Kaufkraft pro Tag verfügt. Eine Begrenzung nach oben wäre der nächste Schritt nach dem Mindestlohn. Vor zehn Jahren starteten die Schweizer Jungsozialisten die Volksinitiative „1:12“, die besagte, dass in einem Unternehmen der am besten bezahlte Job nur 12-mal so viel einbringen dürfe wie der am schlechtesten bezahlte Vollzeitjob. Die Initiative wurde in allen Kantonen abgelehnt. Vielleicht war das zu radikal, vielleicht sollte man erst mit 1:25 beginnen. Aber in den letzten Jahren verlief vor allem in Deutschland das Lohngefälle wieder erheblich steiler. Mit Leistung lässt sich nicht erklären, warum einer 100-mal mehr verdient, als ein anderer. Eine Verdienstgrenze nach oben ist übrigens verfassungskonform. In Deutschland wird Eigentum und Erbe nur gewährleistet, ist damit gegenüber dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die unverletzlich ist, oder der Würde des Menschen die sogar unantastbar ist, ein niedrigeres Rechtsgut. Wenn Superreiche meine Persönlichkeitsrechte einschränken (was sie dadurch schon tun, indem sie durch hohe Parteispenden Einfluss auf die Wahlen nehmen), ist das eo ipso ein Verfassungsbruch. Es wäre damit sogar geboten aus verfassungsrechtlichen Gründen, eine Verdienstgrenze einzuführen, eine Superreichen-Steuer, eine deutliche höhere Erbschaftssteuer. Es ist interessant, dass die Wähler dies in großer Mehrheit ablehnen. Vielleicht hat jeder Einzelne noch die Illusion er könne auch noch reich werden – und die Avaritia ist tief verankert in der Anal-Fixierung des menschlichen Charakters. Geld und Kot werden in gleicher Weise als Teile unseres Selbst betrachtet und erwecken Abwehrreaktionen in Form von Ordentlichkeit, Sparsamkeit und Eigensinnigkeit. Die Wähler misstrauen dem Staat als legitimen Verwalter und Verteiler dieses abgesaugten Privatreichtums. So aber befinden wir uns längst im globalen Ausmaß in einer neo-römischen Epoche in der superreiche Privatleute den Lauf der Dinge bestimmen. Das aber macht Demokratie unmöglich. Der jetzt vorherrschende Kapitalismus hat ein erhebliches Demokratie-Defizit und ist damit ziemlich scheiße.

 

Streifschuss vom 18. Juli 19

 

Anlass: Immer wieder Europa

 

Wie im Fußball.

Die Deutschen gewinnen

 

Nun wird Europa von der Urenkelin des Plantagenbesitzers James Ladson aus Charleston (der Urgroßvater von Ursel war Offizier im Unabhängigkeitskrieg und immerhin stolzer Besitzer von 200 Sklaven) regiert, von einer Frau deren Doktorarbeit in einigen Universitäten als Negativbeispiel für angehende Doktoranden dient, weil fast die Hälfte des Textes aus nicht gekennzeichneten Fremdtext besteht der in 20 Fällen sogar schlicht falsch ist. Für eine Dissertation im Fach Medizin können solche Fehler schon auch Bedeutung haben. Aber sie ist eine hervorragende Reiterin und reitet nun wieder in die Nähe ihres Geburtsortes. Nein, so schlecht ist die Dame auch wieder nicht. Sie hat ein syrisches Kind bei sich aufgenommen und ihm einen Ausbildungsplatz verschafft, sie stimmte für die Ehe für Alle und findet Kinderpornografie scheiße. Es ist – wie bei vielen PolitikerInnen – die alte Leyer. In Deutschland nicht mehr vermittelbare Politiker ziehen nach Brüssel um. Europa ist ein deutsches Privatunternehmen. Schließlich war Belgien immer leicht einnehmbar für deutsche Truppen. Das Drama ist also nicht die Ursula. Sie hat nun wirklich genug Spott ertragen müssen und verdient davon höchstens zwei Drittel. Das Problem ist eine Unwucht im Parlament. Volkes Wille? Wer ist dieser Volk eigentlich? Was erlaube sich Volk? Volk ist wie Flasche leer. So viel zur Integration italienischer Deutschkenntnisse. Eine Armada von NGO’s versucht in wilder demokratischer Würselei zu retten, was zu retten ist. Europa sinkt ohne wirklich havariert zu sein. Das Parlament ist längst ein Antiparlament. Und unsere Geldscheine werden künftig von einer Frau unterschrieben, die rechtskräftig wegen Amtsmissbrauch verurteilt wurde, weil sie grob fahrlässig mit öffentlichen Geldern umging und das Urteil eines Schiedsgerichts akzeptierte, das Bernard Tapie über 400 Millionen Euro aus einem Aktienverkauf zusprach. Ein Schelm, der dabei Böses denkt. Im Großen und Ganzen ist das eine deprimierende Umsetzung für eine so fantastische Idee.

 

Streifschuss vom 13. Juli 19

 

Anlass:

Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht
Ein Retter willkommen erscheinen,
So soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blutge Tyrann sich nicht,
Dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
Er schlachte der Opfer zweie
Und glaube an Liebe und Treue.

 

20. Juli 1944

 

Stellen Sie sich vor, eine Frau ist schwanger. Sie möchte das Kind zur Welt bringen. Eine DNA-Analyse des Embryos ergibt jedoch zweifelsfrei eine Wiedergeburt von Adolf Hitler. Man zwingt die Frau zur Abtreibung. Ist das moralisch zu vertreten?

Ein Mensch ist ein Mensch und seine Würde ist unantastbar.
 In einer Woche feiern sie den 75. Jahrestag des Hitler-Attentates. Ich halte es für nicht ganz unproblematisch, dass ein Attentat auf einen Menschenführer gefeiert wird, wo gerade erst ein Menschenführer erschossen wurde. Ganz unabhängig davon wie wir den Einzelnen bewerten gilt in Deutschland die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Gilt sie also im Nachhinein für Adolf Hitler nicht? Schwierige und ganz schön heftige Frage. Als bei der Schweigeminute zum getöteten Walter Lübke bis auf einen AFD-Politiker alle aufgestanden sind, standen auch die gleichen Politiker auf die das Asylrecht verschärften und Menschen unwürdige Ankerzentren bauen ließen. Nächste Woche stehen sie auch wieder auf. Die gleichen, die gerade ohne mit der Wimper zu zucken Hunderte Menschen im Mittelmeer ersaufen ließen. Sie alle gedenken dem Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg.  Erinnerungskultur kann manchmal ganz schön tückisch sein. Den Versuch eines Tyrannenmords zu feiern gilt es zumindest mal zu überdenken. Der erste, lange Zeit weithin bekannte Tyrannenmord geschah im Jahr 514 v. Chr.. Harmodios und Aristogeiton verübten ein Attentat auf die Tyrannen-Brüder Hippias und Hipparchos; Hipparchos kam dabei zu Tode. Der Anschlag gilt als Geburtsstunde der Demokratie in Athen. Harmodios und Aristogeiton waren keine Athener, sie gehörten eingewanderten Stämmen an. Die Brüder Hippias und Hipparchos konnten nur durch freundliche Unterstützung der mit Athen verfeindeten Spartaner gekillt werden.

In unserer Verfassung steht in Artikel 20 GG dass gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung (Gesetzgebung ist an die Verfassung gebunden A. d. A.) zu beseitigen, alle Deutschen das Recht zum Widerstand haben, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Dieser Absatz zeigt, dass Ausländer in Deutschland kein Widerstandsrecht haben. Der Absatz wurde ziemlich genau vor 51 Jahren dem Grundgesetz hinzugefügt. Carlo Schmid – der Autor unseres Grundgesetzes – lehnte diese „Aufforderung zum Landfriedensbruch“ noch ab. Es ist völlig strittig wann dieses Abwehrrecht rechtlich gültig wird. Man könnte meinen, dass sogar schon die Vorbereitung zum Umsturz bekämpft werden könnte. Also könnte man gegen die Superreichen denen das GG am Arsch vorbei geht, gegen die Aktionäre der Telekommunikationsgesellschaften, gegen die Aktionäre von Immobilien, gegen die Politiker die das Asylrecht bekämpfen und für Sozialabbau sorgen, gegen all die kleinen und die großen Fische antidemokratischer Gesinnung Widerstand leisten und zwar bewaffneten Widerstand.  Damit wird es schon sehr knifflig. Viele Rassisten heutiger Tage halten sich ernsthaft für Widerstandskämpfer und berufen sich auf ihr Widerstandsrecht. Aber schon Immanuel Kant misstraute dem Widerstandsrecht: es könne leicht zum Vorwand Einzelner werden, um sich gegen den Staat zu stellen. Und am 20. Juli wird das auch noch gefeiert. Natürlich können wir das beruhigt feiern, weil das Attentat missglückte und von Stauffenberg noch am gleichen Tag hingerichtet wurde. Feiern wir jetzt das missglückte Attentat? Ich verstehe es nicht. Ich verstehe einfach nicht, was es da zu feiern gibt. Aber ich verstehe so viel nicht, dass das auch nichts mehr ausmacht.

 

Streifschuss

vom 08. Juli 19

 

Anlass:

Games of Fiskus

 

 

 

Blind, stur und doof – Ende Gelände

 

Meine Misanthropie wächst stündlich. Die Spezies des Homo Sapiens ist der Beweis dafür, dass die Evolution wirklich blind ist. So was muss man doch sehen, bevor man es mutieren lässt!
Nun hat der Homo Sapiens viele Tausend Jahre keine Probleme gemacht. Es gab genug Säbelzahntiger und die Waffentechnologie dieser Spezies  steckte noch in den Kinderschuhen. Die Beherrschung des Feuers und die Erfindung des Rades veränderten dann alles. Der erste vom Homo Sapiens selbst erzeugte Funke sprang vor 32.000 Jahren aus Schwefelkies und Feuerstein auf einen Zunderschwamm. Und vor 6.000 Jahren kamen die Sumerer in Vorderasien auf den rollenden Gedanken. Und mit dem rollenden Gedanken wurde auch zum ersten Mal eine Steuer erhoben. Also: Fast 300.000 Jahre ging alles gut mit dem Trockennasenprimaten. Und dann das! Unsere Erde steht kurz vor der Auslöschung durch eine inzwischen zum Parasiten mutierten Spezies. Und die Anführer dieser Parasiten erheben eine Steuer! Möge der Fiskus den Regenwald schützen. Möge der Fiskus den Anstieg des Meeresspiegels zügeln. Möge der Fiskus verhindern, dass der Permafrost sich auflöst. Möge dem Fiskus gelingen, dass sich das Ozonloch wieder schließt. Hätte man  die Steuergelder, die für die PKW-Maut verschleudert wurden der Bahn gegeben, hätte man jetzt schon mehr für die Umwelt tun können. Seit Jahren subventioniert diese Regierung und die Regierung davor und auch die davor die Erdölindustrie. Und seit Jahren bremst die Politik die alternativen Energiekonzepte aus, wie die Photovoltaik. So wird uns die Umwelt noch viel teurer kommen, als jede CO2-Steuer einbringt. Unsere schöne kapitalistische Komfortzone löst sich langsam auf. Wir sind schon so gut wie tot. Aber wenigstens sterben wir mit dem guten Gewissen eine Steuer erhoben zu haben. Die CO2-Steuer mag ja ein hübscher Einfall sein und mir soll es auch Recht sein, wenn der Liter Benzin 100 Euro kostet. Aber – und aber ist das Lieblingswort der Politik – die produzierenden Unternehmen müssen geschützt werden. Daher muss der Automobilindustrie  auch die Steuer erlassen werden. Sonst – na? Das ist jetzt nicht schwer – kostet das Arbeitsplätze. Und der Homo Sapiens liebt Arbeitsplätze. Es ist dem Homo Sapiens völlig egal, dass seine Arbeitsplätze Teil des Problems sind und seine Produktivität inzwischen seine Produktivität ernsthaft gefährdet. Diese angeblich so kluge Spezies (dem Namen nach) ist dümmer als der Lemming. Und der Lemming ist eine Wühlmaus, die trotz sicheren Ablebens nicht auf ihre übliche Route verzichtet. Ein Mensch eben. Und so schlage ich im Sinne Carl Linnes vor, den Politiker als Homo Lemmus zu bezeichnen. Sie haben einen kurzen Schwanz und man erkennt sie an ihren Zähnen. Der Homo Lemmus liebt Steuern über den Tod hinaus.

 

 

Streifschuss vom 03. Juli 19

 

Anlass: Die Cargohose wurde im zweiten Weltkrieg für den militärischen Einsatz entwickelt und ist inzwischen zum Kleidungsstück der Unterklasse geworden.

 

 

Ein Plädoyer für das Verbot eingenähter Seitentaschen

 

Etwa 60 Jahre alt, Glatze und schwarzes T-Shirt, auf dem Rücken ein stilisiertes, silbernes Schwert mit Totenkopf abgebildet, dazu eine knielange, breit karierte Cargohose, braune Socken und Sandalen. Warum? Ich wüsste nicht einmal, wo man solche Kleidungsstücke käuflich erwerben kann. Die Pauperisierung führt zunehmend zur ästhetischen Katastrophe. Zusätzlich ist es heiß und schwül. Sicher. Nur noch wenige können sich einen leichten Leinenanzug leisten. Dabei wäre es so einfach. Die Dschallabija ist leicht, günstig und wirkt sogar elegant. Eine Derra’a trägt man gerne im Sudan und sie schützt vor der Hitze. Ein türkischer Kaftan aus Seide, indigoblau gefärbt passt immer. Da fallen die Sandalen nicht mehr unangenehm auf. Der überproportionierte von Aszites geschwollene Bauch als gesellschaftliches Sinnbild bajuwarischen Alkoholmissbrauchs verschwindet unter wallenden und Luft durchlässigen Gewändern. Aber was sieht man? Gammlige T-Shirts mit Schweißrand um die Achselhöhle und ausgeleiertem Stoff um die Bauchhöhle. Kurze Hosen aus denen kränkliche von Venen durchsetzte Beine hinauskriechen und in von Fußpilzen halb zersetzten Sandalen landen. So kleiden sich die Herren der Schöpfung im christlichen Abendland. Es ist wohltuend, dass junge Einwanderer noch etwas ästhetischen Verstand, Stolz und Würde in dieses sich von jedweder Kultur zunehmend abwendende Land bringen. Das karierte  C&A Sakko von Alexander Gauland! Was für eine Kleiderwahl ist das denn? Und dann diese nazistische Armee mit Kapuzenshirt und Adleremblem, diese stiernackigen Cargohosenträger! Alles kaum mehr zu überbieten an demonstrativer Hässlichkeit. Zieht ihnen endlich die Cargohosen aus und die Kaftans über. Steckt ihnen eine Haschischpfeife in den Mund und die Deutschlandfahne in die Anusampulle. Himmel! Wer sich mit Anstand kleidet und entspannt ist, muss niemanden mehr hassen.

 

Streifschuss vom 26. Juni 19

 

Anlass: Traum von einem Tiger

 

Wer ist der König der Tiere?

 

Unsere Welt ist derart komplex geworden, dass es nur noch den wenigsten gelingt, wirklich wirksam zu sein. Der Verlust der Kohärenz ist für die Seele verheerend. Die meisten erreichen schon lange nicht mehr ihr angestrebtes Ziel und haben deutlich nach unten korrigiert. Und selbst für dieses lächerliche Ziel steht inzwischen der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis. Besonders auffällig ist das in der Politik. Das Ziel, die Weltklimaerwärmung zu reduzieren wird regelmäßig verfehlt. Die Konferenzen, die geführt werden betreiben einen derart Klima schädlichen Aufwand (die Politiker kommen ja alle mit dem Flugzeug oder Diesel), dass das Ergebnis dieser tagelangen Diskussionen und die quotenorientierte Berichterstattung in keinem gesunden Verhältnis dazu steht. Mangel an Effektivität und an Effizienz. Sollte man aber nun einfach sagen: Wir lassen es bleiben? Sicher nicht. Wir sollten alle eher lernen, unsere Erwartungshaltung zu ändern. Wer von den Politikern immer noch zu viel erwartet, der wird enttäuscht, frustriert und am Ende vielleicht sogar wütend. Schließlich transformiert sich diese Wut mangels konkreten Abnehmers in Hass. Demokratie ist sehr ineffektiv und sehr ineffizient. Bei einer Diktatur wäre es kein Problem. Der Diktator verbietet einfach allen Menschen das Auto fahren und lässt die Autofabriken schließen, bzw. etwas anderes produzieren. Um das durchzusetzen übt der Diktator Zwang aus. Das geht. Das hatten wir schon oft. Dann geht es auch voran. So aber treffen sich in der Demokratie eine Gruppe schon sehr, sehr müder Menschen, Schlafringe unter den Augen, fahle Koffein- und Nikotingefärbte Gesichtshaut. Sie diskutieren schon die fünfte Nacht, um zu einer Einigung zu kommen. Mühsam, schleppend und endlich am Morgen der fünften Nacht schütteln sich alle erschöpft die Hände. Der nach einigem hin und her gewählte Vertreter der Sache tritt vor die Presse und verkündet stolz das Verhandlungsergebnis. Und der Journalist? Entsetzen im Blick, ob des lächerlichen Ergebnisses der langen Verhandlungen. Mutlos und erschöpft klagt der Politiker: „Ja was haben Sie denn erwartet?“ Aber Presse und Volk schreien entsetzt und wütend: „Auf jeden Fall nicht das!“
Sollen wir eine Mauer bauen? Sollen wir sie alle rein lassen? Wen sollen wir rein lassen? Wer muss draußen bleiben? Wie soll man überhaupt darüber entscheiden? Können wir verteilen? Wer nimmt wen? Wie viele? Und warum überhaupt? „Ich nicht“, ruft der erste. „Aber der Humanismus“, ruft der andere. Während also diskutiert wird, ersaufen die ersten im Mittelmeer. Sie haben nicht die nötige Zeit und Geduld für Demokratie. Dieses Drama einer formalen Regelung wurde ja dadurch schlimmer, dass nebenbei die ökonomischen Agenten ganz undemokratisch effizient und effektiv ihre Sache voran getrieben haben. Zuletzt schön zu sehen beim Dieselskandal. Jenseits aller Demokratie. Aber es braucht gar keinen Skandal. Die Herren auf Silicon Valley, die Gates, Musks,  Bezos, Zuckerbergs dieser Welt sind keine Demokraten. Sie machen einfach. Die Politik verliert an Boden mit jeder technischen Innovation. Das ist schon lange sichtbar, schon seit der ersten industriellen Revolution. Ab da war der einzelne Mensch nicht mehr demokratisch leitbar. So kann man die Geburtsstunde der Demokratie gut verbinden mit der Geburt der technischen Innovation. Jedes Gerät macht mich selbstständiger und damit weniger regierbar. So brauchen wir irgendwann die Demokratie. Aber die vielen Geräte machen mich so effizient und effektiv, dass die Demokratie nicht mehr mit kommt. Andererseits wird mir das Leben schwer, weil ich so viel tun muss, um es zu erleichtern.

„Lohnt sich dieser irre Aufwand wirklich“ titelte die BILD über die Cop23 (Weltklimakonferenz 2018 in Bonn). 25.000 Teilnehmer 120 Millionen Euro Kosten. Abgesehen von der Klimabilanz der einzelnen Teilnehmer, die teilweise einzeln mit Privatjet anreisten, betreibt die moderne Massendemokratie einen Aufwand, dessen Ertrag einfach niemanden mehr überzeugen kann. Dass eine solche Regierungsform von einer Krise zur nächsten taumelt, ist nicht wirklich eine Überraschung. Eine Beschleunigung von Entscheidungsprozessen birgt aber erhebliche Gefahren. Die Risikobereitschaft sinkt mit zunehmender Gefahr. Da die Welt immer komplexer wird, entstehen nicht mehr zu überblickende Synergieeffekte. Der zunehmende Verlust an Kontrolle macht uns handlungsunfähig. Immer mehr Menschen haben den Eindruck, sie treiben in einem Meer an Ereignissen dahin, während die Politiker immer nur reden und nichts tun. Das stimmt natürlich so nicht. Aber die Massendemokratie hat inzwischen ein Transfer-Problem. Ihre Handlungen überzeugen nicht mehr, weil sie in keinem Verhältnis zur drohenden Gefahr stehen. Sie stehen einem riesigen Tiger gegenüber und der Politiker gibt Ihnen einen Löffel in die Hand und sagt: „Verteidige dich“.  Bei zunehmender Ratlosigkeit und Hilflosigkeit tendiert der Einzelne dazu, die Gefahren auszublenden. Er kann aber weder alle Gefahren überblicken, noch alle Gefahren ausblenden. Dadurch kommt es zur Verwirrung, denn die politischen Angebote werden nicht mehr verstanden. Sie passen nicht auf meine Gefahren-Auswahl. Wovon redet dieser Politiker? Das fragen sich immer mehr Menschen, und spüren, dass die Politik ihren Kontakt zu den regierten Menschen verliert. Viele NGOs und viele kleine Parteien entstehen. Nehmt eure Sache selbst in die Hand, rufen sie alle. Die Verwirrung wächst dadurch nur. Noch mehr Gerede macht es nicht überschaubarer. Jetzt rufen die Massen nach dem Heilsbringer. Einen Führer! Der Herdentrieb schlägt durch. Aber der Heilsbringer hat nur Heil für seine Klienten. Er kann nicht alle vor dem Tiger retten.

 

Streifschuss vom 17. Juni 19

 

Anlass: Der natürliche Feind im Habitat klassischer Linker wird 90 Jahre alt.

 

Von der Allergie über die Hysterie zur Idiosynkrasie

 

Ich kann mich noch an eine scharfe Diskussion erinnern im Gewerkschaftshaus, wo eine wilde Truppe Antideutscher mit Attac-Vertretern über die Theorien von Habermas gestritten haben. Wie Sie an den Diskussionsteilnehmern sehen können: Das ist verdammt lange her.
Die Antideutschen warfen Habermas Relativismus vor und die Attac-Vertreter versuchten das zu relativieren. Das Grunddilemma des gewaltfreien Diskurses von Habermas ist wohl sein Utopismus. Wie lässt sich die real existierende Gewalt durch Repression beseitigen? So ist der Großteil der Mitglieder des deutschen Staats vom repressiven Diskurs der Politik faktisch ausgeschlossen. Freiheit und Gleichheit kann ohne faktische Bestimmung der Gewalt nie gelingen und es braucht eine Macht, die den vom Gespräch Ausgeschlossenen zur Inklusion verhilft. Damit aber ist der gewaltfreie Diskurs eo ipso beendet. Finden Sie mal raus aus diesem Dilemma.

Besonders spannend ist Habermas‘ Sprechakttheorie in seinem Hauptwerk „Theorie des kommunikativen Handelns“, dabei ist er stets prozessorientiert. Aber das ist auch ein Problem. Ich habe es allzu oft selbst erlebt, wenn meine psychologische Überlegenheit Argumente evident macht und ich habe auf der anderen Seite erlebt, wie meine psychologische Unterlegenheit sich anfühlt, wenn mir die Argumente ausgehen. Am Ende wäre es eine Tugend-Debatte: Lass doch auch mal die Idioten was sagen. Aber mal ehrlich: Sich bewusst zurückhalten und trotz argumentativem Flows den psychologisch Unterlegenen reden zu lassen? Ich bin extrem schnell im Denken, das ist ein psychologischer Vorteil. Dem bin ich mir oft nicht bewusst, bzw. ist mir der Vorteil nicht ständig gegenwärtig. Aber in bestimmten Machtkonstellationen verliere ich meinen psychologischen Vorteil und es kommt bei mir zu einer Denkhemmung. Im realen Leben erlebe ich das als Repression durch rechtliches und symbolisches Kapital. Durch meinen hohen intuitiven Druck erlebe ich mich selbst oft nahe an der Idiosynkrasie. Nur überwindbar durch die Schöpfung von Kunst.
Wie libidinös das manchmal bei mir ist erkennen Sie daran, dass ich mir mit der Anerkennung von Wertstandards immer schwer tue. Sie sind für mich schon in ihrer bloßen Existenz ein repressiver Affront. Daher ist Habermas in meinen Augen manchmal der Inbegriff von bürgerlicher Aufrechterhaltung normativer Strukturen, die nur durch Rechtsbrüche gebildet wurden. Gerade weil ich erlebe, dass Macht auch den Wert bestimmt und dadurch eine Hierarchie zustande kommt die andere unterdrückt und exkludiert, ist Habermas ein widersprüchlicher Denker. Habermas lehnt den universalistischen Anspruch auf Rationalität ab. Er sieht das als einen Lernprozess. Also habe ich – nach Habermas – kommunikative Handlungsnormen gelernt und mir rechtliches und symbolisches Kapital angeeignet. Nun unterdrücke und exkludiere ich andere. Ich komme aus der Schleife nicht raus. Habermas greift auf mystische und religiöse Motive zurück (er ist ja ein guter Protestant). So ein Überbau ist doch kulturfaschistisch! So jedenfalls der gelernte Marxist. Womit der gelernte Marxist die universalistische Hintertür in Habermas‘ Theorie dekonstruiert. Der gelernte Marxist denkt in Klassen,  Milieus, Schichten. Und sieht darin Machtkonstellationen. Dezentralisierung und Bezugsräume als „dynamische Interpretationsräume“ (so nennen es die Ethnologen) verbergen nur die Machtinteressen, die sich dann knallhart in den materiellen Beziehungen ausdrücken, also im Zusammenhang von Naturstoffwechsel und Produktion. Die rechtlichen und symbolischen Strukturen wären dann lediglich Manifestationen der Produktionsverhältnisse. Habermas meint dagegen, dass die kulturellen Räume der wechselseitigen Beeinflussung (der Lernprozess) ein weit größeres Gewicht haben. Ich hatte diese Fragestellung heute ganz praktisch im Unterricht. Es ging um Biografie-Arbeit bei alten Menschen. Es heißt, die wichtigsten Fragen in der Biografie-Arbeit sind Fragen über das was man mag und was nicht, Fragen zur Religion und zur eigenen Herkunft. Diese Fragen bilden einen Überbau zu den speziellen Themen. Bei einer Essens-Biografie frage ich also nach Weltanschauung und Herkunft, bei einer Biografie zur Morgentoilette ebenso. Erst dann verfeinere ich die Fragen. Eine Teilnehmerin sagte (sie kommt aus Peru und ist beeindruckend klug), dass die Frage nach dem Essen doch wichtiger sei, als die Religion. Damit zeigt sie sich als Materialistin im marxistischen Sinn. Wir diskutierten schließlich darüber, ob das, was man essen mag oder nicht durch die kulturellen Prägungen und Vorlieben bestimmt werde und diese Fragen daher größere Bedeutung hätten oder eben nicht. Schließlich ist einer ein Vegetarier oder ein Moslem und dieses rechtliche und symbolische Kapital nimmt auf das, was er mag oder nicht größeren Einfluss, als sein Bauch. Die Frau aus Peru konterte damit, dass man das dann nachher immer noch fragen kann. Aber zunächst müsse man doch das bestimmen, was einer gerne isst. Erst kommt das Fressen, dann die Moral? Oder prägt die Moral unseren Bauch. Das kann nur offensichtlich werden, wenn man richtig Hunger hat. Und es ist echt die große Frage, wer bereit ist Menschenfleisch zu essen, um zu überleben. An Habermas beiß ich mir immer noch die Zähne aus.

Alles Gute zum Geburtstag du alter Kommunistenschreck…

 

Streifschuss vom 03. Juni 19

 

Anlass: Adorno, Adorno und Adorno!!

 

 

Lohnt die Mühe nicht

 

Der Politikwissenschaftler Ekkehard Felder hält den Jargon der Politiker für so genannte Sprachmuster, die für die Bewältigung von Aufgabenroutinen immer wieder benutzt werden (z.B. Wir Politiker müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen). Er verweist auch darauf, dass unsere Sprache nur über begrenzte Varietäten verfügt und die Politiker mit diesem Jargon auch ihr inhaltliches Programm darstellen und es wäre verunsichernd wenn das laufend geändert würde. Schwachsinn. Das Problem ist nicht der mangelnde Sprachwitz von Politikern (wenn sie diesen versuchen, scheitern sie nämlich erst recht – siehe Nahles „Bätschi“). Politiker-Sprech ist ein Sprachstil, der sich an keinem widerstrebenden Material mehr zu erproben hat (Adorno) und damit ist es die Negation von Stil. In einem guten Satz liegt ein Versprechen. Im Jargon ist es nur noch ein Selbstbezug. Wir Politiker müssen die Sorgen der Menschen nicht mehr ernst nehmen. Die bloße Negation entblößt die mangelnde Kraft des Ausdrucks. Es sind nicht nur die Taten die fehlen. In der Konformität hängt diesen Sätzen ein Preisschild an. Aber es gibt weder ein Angebot noch eine Nachfrage für solche Sätze. In diesen Sätzen wird die Kontrolle der Herrschenden sichtbar. Es steht uns frei, diesen Sätzen zu glauben oder nicht zu glauben. Aber wenn wir ihnen nicht glauben, sind wir Fremdlinge, Eigenbrötler, Exkommunizierte. Die sich in dem Satz sorgenden Politiker wirken durch den Satz sehr anheimelnd. Es tut doch gut, dass sich da eine Gruppe etablierter Spezialisten um „die Menschen“ sorgt. Der Sorge-Begriff ist ein Wort aus Heideggers Sprache und wird hier an prominenter Stelle bewusst gewählt. Das ist kein Mangel an Sprachwitz oder Mangel an Varietät, sondern Herrschaftssprache. Sich zu sorgen klingt so edel und dabei haben wir die Herrschaften gewählt und bezahlen sie auch, damit sie ihren Job machen. Das Politiker-Sprech ist nur noch Verpackung und lässt kaum noch Inhalt erkennen. Hier geht es, wie Adorno sagt, um Menschenführung denen die Menschen nur Vorwand sind für die Führung. Pflegenotstand, Sicherung der Altersvorsorge, die Politik muss die Zuwanderung lösen und so weiter. Markenzeichen einer Verkaufspolitik die Inhalte verlost, die jeden Kunden enttäuschen müssen, da sie davon längst überfüttert sind.  Besonders opportune Leute könnten mich fragen, was denn nun – bei aller Kritik – zu tun sei. Nein. Solche Fragen werden gar nicht gestellt. Denn bei dem Politiker-Sprech sind die vermeintlichen Fragen bereits konform intendiert. So haben wir keinen Pflegenotstand, sondern eine kapitalistische Verwertungsindustrie in der Reproduktion gar keine Rolle spielt. Die Altersvorsorge ist – wie alle Sorge-Begriffe – die Sache der Kapitalisten nicht. Und Zuwanderung wird bereits geregelt nach dem Prinzip der Verwertung von Humankapital. Auf den Jargon der Politiker gibt es keine Antwort. Dabei ist besonders deprimierend, dass die neue Rechte (in der Sammelbezeichnung Querfront) dies längst begriffen hat und  den Zug Richtung autoritativen Staat und Etatismus steuert. Jedes Demokratie-Bekenntnis konformer Politik-Agenten ist längst Makulatur. Die alte Groko ist nur noch ein Geko und wird erst mal sommerlich grün – da warten wir nur noch auf den braunen Herbst.

 

 

Streifschuss vom 01. Juni 19

 

Anlass: Was man so alles bedenken sollte, wenn man denkt, damit man sich nicht alles nur ausgedacht hat was man dachte.

 

Urteile nicht!
schwere Kost

 

Bei Kant – der Ursache vieler Kopfgeschwüre – ist ein analytisches Urteil a priori zum Beispiel der Satz: Der Schimmel ist weiß. Da die Qualität „weiß“ eben schon im Wort „Schimmel“ enthalten ist. Dem Schimmel wird so nichts hinzugefügt und es ist pure Anschauung – also a priori -  da ich – so meine Augen funktionieren – dieses weiß unmittelbar sehe. Ein synthetisches Urteil ist dagegen was anderes. Der Schimmel ist drei Jahre alt. Dies setzt eine Bekanntschaft mit einem bestimmten Schimmel voraus und damit ist es nicht mehr a priori, sondern a posteriori, also im Nachhinein (nach der besonderen Bekanntschaft mit dem Schimmel) als zusätzliches Prädikat erkannt worden. Kant ist der Meinung, dass nur solche Urteile den Namen Wissenschaft verdienen. Was ist nun ein synthetisches Urteil a priori? Also eine unmittelbare Erkenntnis von einem zusätzlichen Prädikat? Die Rechenoperation 5+7= 12. Sowohl die 5, als auch die 7 sind analytisch in der Anschauung der Zeit. Also ich sehe unmittelbar 5 Äpfel in der Schale liegen. Das ist bei klarem Verstand nicht zu bezweifeln und aus der unmittelbaren Anschauung gewonnen. Ebenso bei 7 Äpfeln. Aber wenn ich nun 5 Äpfel aus der Schale nehme und sie in die Schale mit den 7 Äpfeln lege, werden daraus 12 Äpfel. Diese 12 Äpfel sehe ich nun und damit ist das ein analytisches Urteil. Aber da ich zuvor eine Operation durchführte und die 5 zur 7 hinzuaddierte, wird die 12 eben synthetisch und das aufgrund meiner Anschauung. Damit habe ich Wissen geschafft. Das ist das Experiment mit dessen Hilfe ich reine Anschauung hervorgerufen habe, durch Synthese. Zucker ist süß. Kaffee ist bitter. Das sind analytische Erkenntnisse a priori. Wenn ich nun den Zucker mit dem Kaffee verrühre, wird der Kaffee süß und das ist eine analytische Erkenntnis a priori. Aber da ich Zucker und Kaffee durch eine Operation zusammenfügte, ist es ein synthetisches Urteil a priori. Die gewonnene Erkenntnis ist nun qua Vernunft die, dass der Zucker den Kaffee süß macht. Kant stellt die Bedingung auf, dass die Metaphysik nur dann zu sicheren neuen Erkenntnissen gelangen könne, wenn sich auch hier synthetische Urteile a priori fänden. Erst dann habe sie den Status einer Wissenschaft. Wenn ich also eine Gotteserscheinung habe, dann liegt entweder ein analytisches Urteil a priori vor oder ich habe eine Augenkrankheit. Mit welchem Experiment könnte man eine Gotteserscheinung hervorrufen? Ganz einfach. LSD verändert die Sinneswahrnehmung. Gott kann man aber nur mit veränderten Sinnen sehen. Nimmt man LSD sieht man Gott. Das Problem ist nicht die Synthese. Das Problem ist die Analyse. Kants transzendentale Dialektik zeigt auf, dass die Gotteserscheinung selbst nur Schein ist und kein Sein. Und zwar aus der Logik heraus. Jemand mag eine Erscheinung haben und spricht dieser dann den Begriff Gott zu. Kant beweist, dass hier bereits die Existenz Gottes vorausgesetzt wird. Schließlich könnte diese Erscheinung unter Einfluss von LSD alles Mögliche sein. Wer sagt denn, dass es Gott ist. Wer kann das sagen? Kaffee existiert physikalisch und Zucker auch. Die neue Qualität des Kaffees durch Hinzufügen von Zucker ist a priori physikalisch. Die neue Qualität meiner Sinneswahrnehmung durch LSD ist ebenfalls physikalisch. Aber nicht die Interpretation der Qualität.  Gesüßter Kaffee schmeckt mir nicht. Dies ist kein analytisches Urteil, sondern ein ästhetisches Urteil. Ästhetische Urteile beurteilen den Wert und nicht die Qualität und sind damit ein Vorurteil das ich im Bezug meines Selbst auf ein Ganzes stelle. Die Qualität wird durch den relationalen Bezug auf mich zu einem Wert. Denn anderen schmeckt gesüßter Kaffee. Wer also apodiktisch behaupten wolle gesüßter Kaffee schmeckt nicht, der verwechselt Anschauung mit Meinung. Im Falle eines Gottesurteils liegt noch nicht einmal ein ästhetisches Urteil geschweige denn ein analytisches Urteil vor. Gott kann man weder anschauen, noch eine Meinung davon haben. Denn reine Begriffe sind nicht empirisch. Gott ist ein reiner Verstandesbegriff, der nicht mehr abgeleitet werden kann von einem übergeordneten Begriff. Wenn Gott erscheint, kann es dafür keine physikalische Grundlage geben. Das gilt aber auch für den Begriff Natur. Denn auch dies ist ein reiner Begriff der nicht mehr aus einem übergeordneten Begriff abgeleitet werden kann.  Wenn ich also etwas als natürlich bezeichne, liegt keine Erkenntnis vor, denn Natur ist weder anschaulich noch analytisch. Wenn wir also die Natur retten wollen, dann wollen wir etwas retten von deren physikalischen Existenz keinerlei Erkenntnis vorliegt. Was wir retten wollen ist der Planet Erde, seine Wälder, Meere und Tiere, das Klima der Erde. Klimaleugner negieren nicht die Existenz von Klima auf dem Planeten, sondern die Existenz von Natur und ziehen aus dieser eigentlich korrekten Annahme den logisch falschen Schluss, dass Kohlendioxid keinen Einfluss haben könne auf die Natur. Das Problem liegt im Mittelbegriff. Es ist der gleiche Fehlschluss wie bei einem Gottesbeweis. Aus der korrekten Annahme, dass LSD die Sinneswahrnehmung verändert, wird der falsche Schluss gezogen, es handele sich bei der LSD-Erscheinung um Gott. Es sind ästhetische Urteile, die der Erscheinung einen Wert beimessen in Relation zu meinem Selbst als Ganzes. Für den einen handelt es sich bei der LSD-Erscheinung um Gott, bei dem anderen nicht. Es ist ein rein ästhetisches Werturteil und keine wissenschaftliche Erkenntnis. Dass viele Menschen Qualität und Wert verwechseln ist das eine, dass sie aber reinen Verstandesbegriffen sowohl Qualität als auch Wert zufügen, ist nichts weiter als Idiotie.
Womit bewiesen wäre, dass die meisten Politiker Idioten sind. Und jetzt beweisen Sie bitte, ob das ein analytisches oder ein ästhetisches Urteil ist. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit.

 

Streifschuss vom
28. Mai 19

 

Anlass:
E Unibus Pluram

 

Scham und Aufmerksamkeit

PS: Der Text wurde ursprünglich 2007 nach dem Amoklauf in Virginia Tech konzipiert, der 32 Tote forderte.

 

Wir leben längst nicht mehr in einer Schuldgesellschaft. Schulden sind inzwischen ein Normalzustand geworden.  Allein die Staatsverschuldung übersteigt um ein Vielfaches das Staatsvermögen. Vielmehr leben wir in einer so genannten Schamgesellschaft, wo die Moral wesentlich durch Scham aufrecht erhalten wird.  Wir schämen uns für unseren Körper, unsere Leistung, unser Verhalten. Aber im Gegensatz zu den asiatischen Schamgesellschaften wird in den westlichen Industrienationen die Scham negiert und die emotionale Abfuhr verhindert. Das Gefühl von Scham führt zur Verunsicherung über das aktuelle Identitätskonzept und bringt die Notwendigkeit mit sich, die Vorstellung von sich, den anderen und der Realität zu aktualisieren. Dieser Vorgang der Scham vollzieht sich im Allgemeinen durch den Rückzug der Person ins Private.

Nun hat aber der Verlust des Privaten in unserer Gesellschaft das Gefühl von Scham zu einem anachronistischen, nicht mehr hilfreichen Gefühl gemacht. In einer Welt der medialen Selbstdarstellung, in einer Welt der Überwachungskameras und dem Buhlen um Aufmerksamkeit, führt letztlich "Nicht gesehen werden" zu einer Verunsicherung des Identitätskonzepts. Es findet also das genaue Gegenteil dessen statt, worauf sich moralisch unsere Gesellschaft die letzten Jahrhunderte geeinigt hat. Ein Paradigmenwechsel mit dramatischen Folgen. Der Amoklauf von Virginia im Jahr 2007 forderte immerhin 32 Tote (und es gibt weitere Amokläufe, die in ihrer Brutalität und Absurdität zunehmen, von Colombine im Jahr 1999 bis Parkland im Jahr 2018). Amokläufe sind eine Folgeerscheinung dieser neuen soziologischen Realität. Der Amokläufer im Virginia war zurückgedrängt, schämte sich seiner Minderwertigkeit, schämte sich seines Mangels an Erfolg (ein Gefühl aus der exzentrischen Positionierung heraus entstanden), aber die Möglichkeit, sein Identitätskonzept in Ruhe im privaten Rückzug neu zu bewerten, blieb ihm verwehrt. So war der Amoklauf eine Art Notwehr. Schamgefühle, die nicht zu einer moralischen Neubewertung seiner selbst führten, sondern weiter in der Seele brannten, und das auch noch von allen sichtbar. Denn niemand würde zugeben wollen, dass er nicht wahrgenommen wird. Aber so befand sich der Amokläufer in einer paradoxen Lage. Der Wunsch wahrgenommen zu werden und die Angst davor, dass seine Minderwertigkeit damit sichtbar wird, kollidierten. Die Mixtur für eine menschliche Bombe! Das Drama ist kein Einzelfall. Zum Einzelfall machen es nur der Waffengebrauch und die gewaltsame Lösung des Konflikts. Der Konflikt selbst ist gesellschaftlich ubiquitär. Es ist daher wahrscheinlich, dass Amokläufe tendenziell weiter zunehmen werden, ähnlich wie auch terroristische Akte, die im Grunde nicht viel anders zu bewerten sind. Das hat das Ereignis 09/11gelehrt. Ein mediales Ereignis! Sich minderwertig fühlende Menschen  bekommen die Gelegenheit, sich großartig darzustellen. Zufällig stoßen sie auch noch auf eine Machtkonstellation in Amerika, die es ihnen leichter macht, weil diese bestimmten Mächte einen Nutzen daraus ziehen können.

09/11 war also der Versuch, einen Konflikt zu lösen, der gerade auf dieses Paradox von Scham und Aufmerksamkeit zurückzuführen ist. Ein Konflikt, der nur mit dem Tod des sich schämenden Protagonisten enden kann. Die Wut ist größer als das die Wut zu fassen wollendes Subjekt. Die Wut wurde so groß, weil das sich schämende Subjekt keine Rückzugsfläche mehr hatte. Wer sich seine Wunde nicht in aller Ruhe lecken kann, der wird zum wütenden Tier, gleich einem angeschossenen Raubtier. Wenn ein Konflikt nicht mehr lösbar ist, regiert der Hirnstamm, werden archaische Handlungsmuster freigesetzt. Der Tötungsakt eines Amokläufers und eines Selbstmord-Attentäters entspricht dem Tötungsakt eines um sein Überleben kämpfenden Raubtieres. Unser Konsum-Verhalten ist im Grunde nichts anderes, es ist sublimiertes Töten. Konsum ist das Verhalten, welches das soziologische Paradox von Scham und Aufmerksamkeit zu kompensieren versucht. Kaufen ist ein Akt der Aufmerksamkeit. Der Mensch positioniert sich exzentrisch. Er gerät dadurch in eine Situation, wo er sich schämt. Fehlt ihm die Möglichkeit des Rückzugs, wird das Gefühl der Scham absolut unerträglich! Jeder kann es sehen. Jeder sieht, wie man aussieht, wie man ist. Aus dem Gefühl des Umringtseins, des sich ausgesetzt Fühlens, handelt der Mensch in Notwehr.

Überwachungskameras, Mobiltelefone, Internet: Wir sind stets sichtbar, stets erreichbar. Unsere Schwächen sind erfasst, unsere Krankheiten in großen Datenbanken der Krankenkassen jederzeit von anderen abrufbar, unsere Pässe jederzeit kontrollierbar, unsere Identität jederzeit greifbar. Wer sich schämt erlebt eine unerträgliche Tragödie, die nicht mehr zur moralischen Integrität führt, nicht mehr zur Bescheidenheit Anlass gibt, sondern zur Zerstörung der Identität. Scham ist unzulässig, ist unlebbar geworden. Und das in einer Gesellschaft, wo die Scham den moralischen Maßstab ausmacht! Wir stochern in unseren Wunden herum. Mediale Ereignisse, wie "Big brother" oder "DSDS", aber auch die Schaulust am Privaten denen Stars ausgesetzt sind, oder Unfallopfer sind Beweise für dieses Stochern in unseren Wunden. Der Tod von Prinzessin Di aufgrund einer Jagd der Schaulust bedienenden Journalisten wurde nicht umsonst zu einem modernen Mythos unserer Gesellschaft. Der öffentliche Tod entspricht dem Gipfel einer Aufmerksamkeitsgesellschaft. Unser Tod findet hier kontrafaktisch nicht in stiller Zurückgezogenheit statt, ist kein privates Ereignis, sondern ein gesellschaftliches Präsenzereignis. Das Private war eine Erfindung der Bürgerlichkeit. Diese politische Klasse hat die Moralvorstellungen der letzten 200 Jahre geprägt und beherrscht, denn es war die herrschende Klasse. Sie ist verschwunden. Kommunismus und Faschismus haben die bürgerliche Klasse ausgemerzt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts formierte sich eine instabile Klasse, die man als "mediale Klasse" bezeichnen könnte. Sie ist das Ergebnis eines Traums: Der allgemeinen Gleichheit vor dem Fernsehapparat. Die DSDS Casting-Show ist ein Beleg für die mediale Pseudo-Demokratisierung. Jeder darf sich an Peinlichkeit überbieten. Nein, soll sich sogar an Peinlichkeit überbieten. Da Scham negiert wird, muss die Prostitution öffentlich zelebriert werden. Hier werden keine Helden präsentiert, sondern die Schwächen von Menschen bloß gelegt. Das Publikum ergötzt sich an den Peinlichkeiten und beruhigt sich dadurch selbst. Die Teilhabe des Publikums durch die gemeinsame Abstimmung ermöglicht wiederum, dass die Gemeinschaft sich insgesamt als Sieger fühlt. Die Verlierer auf dieser Strecke sind mediale Ausschussware - Müll. Müll, wie ihn die Konsumgesellschaft in täglicher Ignoranz in Massen produziert. Dieser Müll bildet aber längst eine Gegenkultur, die sich populär im Trash symbolisiert. Amokläufer und Selbstmordattentäter sind Helden des Trash. Sie sind das Ergebnis und die Antwort auf eine Vanitas die sich längst ihrer Hässlichkeit bewusst ist. Selbstzerstörung ist ein klares Indiz für die moralische Abulie einer hochgradig verschuldeten und sich schämenden Gesellschaft, die alles daran setzt sich trotzdem gut zu fühlen.

 

Streifschuss

vom 25. Mai 19

 

Anlass: Ordnung ist des Himmels oberstes Gesetz (Alexander Pope)

 

Kapitalismus ist eine Massenpsychose

 

Der Psychologe Alex Bavelas (*1920) montierte einmal eine Metallbox in den Boden eines Pferdestalls. Wenn das Pferd mit dem Huf darauf stieg, bekam es einen Elektroschock. Wenige Sekunden davor läutete Bavelas ein Glöckchen. Bald erkannte das Pferd einen Zusammenhang mit der Glocke und dem Schmerz. Es hob die Hufe und vermied so den Schmerz. Bavelas montierte die Metallbox wieder ab. Aber das Pferd glaubte weiterhin, es könne durch Heben des Hufes den Schmerz vermeiden. Geben Sie Ihrem Hund jedes Mal, wenn er zum Fressnapf will, einen Stromschlag. Nur dann nicht, wenn Sie zuvor ein Glöckchen klingeln ließen. Der Hund wird schnell begreifen, dass nur dann Essenszeit ist, wenn die Glocke läutet. Anschließend werfen Sie die Glocke weg. Der Hund wird verhungern. Die ursprüngliche Lösung des Problems wurde für den Hund zum Teil des Problems. Ganz genau so ist es bei Menschen mit der Arbeit. Bestrafen Sie einen Menschen immer dann, wenn er ein Produkt herstellt. Nur dann nicht, wenn er für Ihr Unternehmen seine Arbeitskraft vergeudet. Die Lösung des Problems ist längst Teil des Problems geworden. Die gesamte Ökonomie des Menschen auf diesem Planeten ist nichtkontingent mit der Wirklichkeit. Jeder Angestellte lebt in einem neurotischen Verhältnis zu seinem Arbeitgeber. Der Angestellte glaubt, er würde für seine Leistung bezahlt. Nein. Er wird nur dafür bezahlt, dass er seine Leistung für dieses eine Unternehmen erbringt. Und so kann die Bezahlung ganz unabhängig von der erbrachten Leistung sein, denn die Wirklichkeit des Angestellten korrespondiert nicht mit der Wirklichkeit seiner erbrachten Leistung. Diese Arbeitskonditionierung ist global. Nur wenige von der Außenwelt noch nicht entdeckte Menschengruppen haben noch nichts von einer Glocke gehört. Sie fressen noch, wenn ihnen danach ist. Der Mensch im Anthropozän dagegen würde verhungern, wenn jemand die Glocke entsorgt. Daher sind Arbeitslose (schon das Wort ist eine Frechheit) so hilflos, denn sie arbeiten ja nicht für sich, sondern nur für andere. Sie haben längst verlernt, für sich zu arbeiten.
Nun gehen die Menschen wählen, weil sie glauben, dass die von ihnen gewählten Menschen für sie Politik machen würden. Vox Populi, Vox Rindvieh. Die gewählten Politiker arbeiten nicht für die Wähler, sondern für die, die die Glocke haben.  Der Glaube an die Demokratie ist tief verankert in den bürgerlichen Aberglauben, dass eine Leistung die man für andere erbringt zu einem gerechten Lohn führt. Seit dreihundert Jahren widerlegt die Geschichte diesen Aberglauben. Das nutzt nichts. Vielmehr gibt es kaum noch zählbare und höchst komplizierte Untersuchungen darüber, wie diese Ökonomie funktioniert. Der Kapitalismus ist ein Aberglaube. Der Behaviorist John C. Wright setzte zwei Menschen an eine Aufgabe. A und B waren mit Trennscheiben voneinander getrennt, konnten sich nicht sehen. Sie bekamen die einfache Aufgabe, krankes und gesundes Gewebe voneinander zu unterscheiden. Durch Versuch und Irrtum lernten sie schnell. Aber Versuchsperon A bekam die korrekte Rückmeldung. Die Versuchsperson B bekam die gleiche Rückmeldung wie A unabhängig von seiner Entscheidung. Anschließend setzte man die beiden zusammen. B erklärte sehr kompliziert und faszinierend, wie er zu seinen Entscheidungen kam. A (der immer die korrekte Rückmeldung bekam) war so fasziniert von den Erklärungen der Versuchsperson B dass er bei einem weiteren Test dieses Erklärungsmuster ebenfalls anzuwenden versuchte. B schnitt diesmal besser ab als A und A fand das auch völlig in Ordnung. Das ist das Geheimrezept des Unternehmensberaters. Er rät dem Unternehmer zu einer mysteriösen und höchst komplizierten Vorgehensweise. Wenn der Unternehmer nun scheitert, dann hat er den Berater einfach nicht verstanden. So verstehen wir die Ökonomie nicht, wir dummen, einfachen Arbeiter. Vox Populi, Vox Rindvieh. Bald also sitzen im europäischen Parlament wieder über 700 Politiker die alle an eine Vorgehensweise glauben, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Herr Weber von der CDU glaubt zum Beispiel, dass alle Probleme gelöst wären, wenn man nur Arbeit schafft. Als hätte ich nicht schon genug zu tun. Klar. Für vieles was ich tue, bekomme ich kein Geld. Aber der Zusammenhang zwischen Arbeit und Geld existiert nicht. Ein Unternehmen das mich nach willkürlichen Regeln bezahlt für etwas, was ich jetzt tun muss, ist der eigentliche Zusammenhang. Und die Bezahlung entspricht nie meiner Leistung. NIE!  Es ist mir daher ein Rätsel warum die Menschheit immer noch auf eine Glocke hört, die längst die Stunde null geschlagen hat.

 

Und weil's so schön ist hier noch ein Streifschuss vom 16. April 16

 

Anlass: vor drei Jahren

 

Die Hütchen-Spieler

Man sollte sich abgewöhnen zu glauben, man würde einen Nazi schon erkennen. Nein. Die Zeiten, als sie braune Uniformen trugen sind vorbei. Sie sehen heute genauso aus wie wir. Sie kaufen ihre Anzüge in der gleichen Herrenmoden-Abteilung wie Manager und Unternehmer. Naja. Bei Alexander Gauland hat man eher den Eindruck, er verzieht sein Gesicht wegen des Mottenkugeln-Geruchs, den sein kariertes Sakko von Heine (derzeit bei Amazon vergriffen) ausschwitzt.
Aber schauen Sie sich diesen Mann an: Heinz Christian Strache. Wie nett er lächelt. Herkunft: böhmisches Sudetenland, das Sakko in dezentem blau mit neckischen Lederaufsätzen am Ellbogen. Bunter Schal, Gel im Haar. Mitglied der Wiener Penner Burschenschaft Randalia – äh, nein Vandalia. Genau jetzt weiß ich wieder: Pennale Burschenschaft Vandalia. Oder Norbert Hofer, der Mann der Stunde. Immer die passende Krawatte. Technischer Zeichner bei Lauda Air. Ehrenmitglied der pennal-conservativen Burschenschaft Marko-Germania zu Pinkafeld. Hofer gilt als das „weiche Gesicht“ der FPÖ. Er ist Behindertensprecher, hat einen Ratgeber geschrieben.
 Oder Johann Gudenus. Smart – alter Adel eben. Auch er Mitglied der Randalia Penner.
Das christliche Abendland? Die Gaulands, Straches, Storchs, die Hofers, Petrys und weiß der Teufel wer da noch kommt. Man erkennt sie nicht. Ihr Mummenschanz ist perfekt. Und sie sind gerade dabei die demokratischen Regierungen Europas vor sich her zu jagen. Sie holen sie schon ein.

Während sich Obama und Merkel mit Unternehmer-Chefs treffen und auf Abschiedstour durch die Welt tingeln, übernehmen Recht und Gerechtigkeit (PiS), Freiheitliche (FPÖ) und Alternative (AFD) sukzessive die Macht. Mit Anzug, Krawatte und Kostüm. Die Narren im Gewand der Weisen.

 

 

Streifschuss vom 20. Mai 19

 

Anlass: Dort, wo die Almerin die lust’gen Lieder singt

 

Ösiwood

Ibiza, eine junge Russin und angebliche Oligarchin und ein paar schmierige, österreichische Provinz-Nazis wollen die Kronenzeitung kaufen und Parteispenden am Rechnungshof vorbei schleusen und lassen sich dabei auch noch heimlich filmen. Herr Strache entschuldigt sich, er war einfach nur besoffen. Zuviel Wodka Redbull. Selbst meine schlechtesten Texte sind besser. Putschte Norbert Hofer kurz vor der Europawahl seine eigene Partei, indem er seinen Schäferhund heimlich Videoaufnahmen von diesem heimlichen Treffen machen ließ und diese der SZ zuspielte? Und Ka-Ka-Kanzler Kurz? Er kündigt seinem Innenminister Gallows-Face Kickl und kündigt Neu-Kwalen an? Verkackt, könnte man noch weiter alliterieren. Die Regierung Kurz macht ihrem Namen also alle Ehre. Aber bedenkt man, dass das Ibiza-Treffen noch vor der Nationalratswahl stattfand, hätte es die Koalition mit den Ganoven nie geben dürfen. All das kann man eigentlich gar nicht erfinden.  So war der Sozi und Vorstandsvorsitzende (schon das beißt sich) Christian Kern 2017 wegen der Silberstein-Affäre zurückgetreten. Der israelische Politberater Tal Silberstein betrieb Dirty Campaigning gegen Herrn Kurz und wurde vor zwei Jahren von der israelischen Polizei höchstpersönlich wegen des Verdachts auf Geldwäsche in Milliardenhöhe festgenommen.
Die restlichen FPÖ-Minister haben jetzt zwei Jahre später geschlossen ihren Rücktritt angekündigt. Was tritt da nur zurück? Das wäre zum Beispiel eine Arbeitsministerin (Beate Hartinger-Klein) die glaubt man könnte von 150 Euro im Monat locker leben, ein Verteidigungsminister (Unteroffizier Mario Kunasek) der seine Politkarriere im Ring freiheitlicher Jugend startete, dem Jugendverband der FPÖ, der eindeutig als rechtsextrem eingestuft wird. Der RfJ spricht gerne von Überfremdung. Der gerade zurückgetretene Gudenus war mal Obmann dieser RfJ. Der jetzige Obmann der RfJ Matthias Krauss ist wiederum seit der Jugend mit Christian Strache befreundet.
Wer bleibt übrig? Eben: Norbert Hofer, der Verkehrsminister, der ausdrücklich für allgemeinen Waffenbesitz eintritt um die vielen Flüchtlinge vor der Grenze oder anderswo abzuschießen. Man fragt sich wirklich, wer hier schmutziger ist. Und wie lange es noch dauert bis das Bundesheer in Deutschland einmarschiert. Heim ins Reich mal andersrum.

Die großen Volksparteien sind verbraucht. Die populistischen Parteien zerstören sich gerade selbst. Wenn aber niemand mehr wählbar ist, gibt es auch keine Demokratie mehr. Ich würde sagen, dann herrscht Anarchie im negativen Sinn. Man muss das verstehen.  Wenn die alle zurücktreten und der Rest von ihnen im Gefängnis sitzt dann müssen wir uns selbst regieren. Das hat doch nichts mit Demokratie zu tun!! Und das alles, während uns eine Invasion durch Außerirdische droht!

Mir gehen die Ausrufezeichen aus.

 

Dort, wo die Schneeberg’ belämmert die Köpf’ in d’ Wolken steck‘n,
Gleichwie als könnten’s den lieben Himmel necken,
Dort, wo das Schmierwasser aus dubiosen Quellen fließt,
Dort, wo der Jägerbub’ den flücht’gen Syrer schießt,
Wenn er so oben steht hoch im Nazi-gwand,
Ja, das ist mein Österreich, das ist mein Vaterland,
Das ist mein Österreich, mein Vaterland.

 

Streifschuss vom 15. Mai 19

 

Anlass: Europawahl oder: der künstliche Zwang und die Üppigkeit der bürgerlichen Verfassung hecket Witzlinge und Vernünftler, gelegentlich aber auch Narren und Betrüger aus (Immanuel Kant, „Versuch über die Krankheiten des Kopfes“)

 

Warum der Kapitalist ein Idiot ist

 

Wenn ich Ihnen sage, dass Ehrlichkeit, Treue im Versprechen, freundliches Wohlwollen und Wahrhaftigkeit besser sind als Betrug, falsche Versprechen, Missgunst und Unaufrichtigkeit – ich denke mir würden alle Recht geben. Ja, so einfach kann Immanuel Kant sein und seine Metaphysik der Sitten. Natürlich gibt es Kaufleute, die aus betriebswirtschaftlichen Gründen ihre Kunden betrügen. Natürlich gibt es sehr arme Menschen, die sich Geld leihen und das falsche Versprechen geben, es zurückzuzahlen. Natürlich gibt es Menschen die zum eigenen Vorteil anderen Schaden zufügen und es gibt Menschen die unter massivem Druck falsches Zeugnis ablegen und Unschuldige lügnerisch beschuldigen. Aber dieses Verhalten ist doch nicht gut, oder? Um das zu wissen muss ich nicht ein einziges Buch lesen. Aber der aktuell vorherrschende Kapitalismus fördert die Gier des Individuums, falsche Versprechen sind Kernelement der Produkt-Werbung, und die Behauptung man würde seine Schulden bezahlen wird vom Finanzkapitalismus regelrecht ad absurdum geführt. Wen wundert es da noch, dass der Mensch in der blauen Banane (Bezeichnung für die europäische Megaregion – siehe Bild) seine Orientierung verliert. Umgeben von Fake News, Produkt-Placement, bösartigen Spekulanten und missgünstigen Verschwörungstheoretikern taumelt der Europäer zur Europa-Wahl. Eine Nahrungsmittelindustrie die ihre Kunden bewusst vergiftet um betriebswirtschaftlichen Vorteil daraus zu ziehen, Politagenten deren demokratischer Eid für den nächstbesten Aufsichtsratsposten gebrochen wird, Aktiengesellschaften die Nachhaltigkeit versprechen und in Wahrheit aus reiner Profitgier die Erde zerstören. Mächtige Konzerne die regelmäßig Steuerhinterziehung betreiben und so dem Allgemeinwohl schaden. Der Ehrliche ist hier leider wirklich der Dumme. Anstand wird zur Narretei. Es wird gelogen, betrogen, verleumdet und gestohlen was das Zeug hält. Man nennt es heute Kapitalismus und weil die Täuschung das Kernelement dieser Ökonomie ist, sagt es keiner. Eine Ökonomie die unsere natürlichen Neigungen derart stärkt, schwächt unsere vernünftige Sittlichkeit. Diese Ökonomie hat keine Zukunft. Das Dogma vom Wirtschaftswachstum ist nicht heilig, ist kein höheres Gesetz. Es ist die Folge von historisch falschen Entscheidungen. Und wer sich in einer Sackgasse befindet (Wachstumsfalle) und die Richtung trotzdem nicht wechselt, der gilt gemeinhin als Idiot. Ergo: Kapitalisten sind Idioten.

 

 

Streifschuss

vom 07. Mai 19

 

Anlass: Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können (Einstein)

 

Wir können wissen, was wir wollen

Eine Parabel

 

 Leben braucht Sauerstoff. Atmen Sie ein, atmen Sie aus. Spüren Sie, wie sich ihre Lungen füllen. Das ist nur möglich, weil es einen höchst lebensfeindlichen Ort gibt. Dort herrschen extreme Temperaturen. In dieser staubigen Hitze trifft man auf Soldaten in kurzen Hosen und Sandalen mit Kalaschnikow um die Schulter gehängt.  Wagemutige Touristen (die nicht selten entführt werden) bestaunen einen speienden Vulkan, einen Salzsee der bis zum Horizont reicht, brodelnde Schwefellöcher und schier endlose Kamelkarawanen.

Die Danakil-Wüste ist eine riesige Salzwüste an der Küste des roten Meeres. Der dort vom Wind aufgewirbelte Salzstaub geht auf die Reise bis zum Amazonasbecken, fällt dort herab und düngt den Boden derart mit Mineralstoffen, dass es nur so blüht. Die vielen Pflanzen im Amazonas verwandeln Kohlendioxid in Sauerstoffmengen, die ausreichen würden, die gesamte Menschheit 20 x mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Aber der Sauerstoff verlässt den Amazonas nie. Die vielen Tiere dort verbrauchen ihn selbst. Es ist das Wasser im Boden, das in den großen Bäumen nach oben steigt, oben dann zu einem gewaltigen Fluss aus Wolken wird. Diese Wolken ziehen bis zu den Anden, krachen dort gegen die Gebirgswände, der Regen der so entsteht wäscht Mineralien aus dem Gestein, das ganze fließt ins Meer, dort warten Kieselalgen, die dank der Mineralien sich fortpflanzen können (zum Beispiel Silicium mit denen die Kieselalgen eine Schale bilden und dies ermöglicht ihnen die Fortpflanzung - wir telefonieren damit). Diese Kieselalgen sind der größte Sauerstofflieferant. Sie betreiben Photosynthese. Wenn die Kieselalgen sterben, sinken sie als mariner Schnee auf den Meeresboden. Sie schmelzen aber nicht, sondern sammeln sich in Jahrmillionen an, heben den Boden. Der Meeresspiegel sinkt und es entsteht eine Salzwüste, dessen Salzstaub wieder zum Amazonasbecken fliegt. Wie die Danakil-Wüste.

Dieser geradezu unverschämt originelle Kreislauf bildete sich aus so vielen Zufällen, dass die Wissenschaftler von einem Ökosystem sprechen. Nun ist ein System ein aus Einzelteilen verbundenes Ganzes im Gegensatz zu Chaos. Der letzte Trick der positivistischen Wissenschaften ist die Erfindung von chaotischen Systemen, auch deterministisches Chaos genannt. Das Wetter, das Klima oder auch Wirtschaftskreisläufe sind angeblich determiniert und zugleich chaotisch. Quantentheoretisch wären es Zustände, die nur dann ein System sind, wenn wir hinsehen. Mein zuvor beschriebener Kreislauf zur Entstehung von Sauerstoff ist somit ein Zustand, der durch den Beobachter entstanden ist. Daraus macht die Wissenschaft eine feste Formel, die im positivistischen Sinne berechenbar ist, und damit der Herrschaft des Menschen zugänglich wird. Sinnstiftende Realität entsteht durch die „bedeutende“ Beobachtung. Niemand würde bezweifeln, dass wir Sauerstoff zum leben benötigen, sofern wir keine speziellen Bakterien sind, die in Schwefelsäure leben können und sich von Schwermetallen ernähren. Was ist also zufällig? Dass wir atmen? Dass wir Sauerstoff dazu brauchen? Dass dieser nötige Sauerstoff auf sonderbare Weise vom Staub der Wüste abhängt? Für all das hat die positivistische Wissenschaft nicht mal im Ansatz eine Erklärung. Die Frage ist, ob wir überhaupt eine Erklärung brauchen. Wenn wir nur wissen wie die Sache funktioniert aber nicht warum, dann bezweifle ich dass wir die Sache wirklich begreifen. Die gute Nachricht: noch können wir selbst bestimmen, warum wir atmen. Genießen Sie es. Atmen Sie ein, atmen Sie aus...

Streifschuss

vom 02. Mai 19

 

Anlass: Staffelfinale

 

Es ist vorherbestimmt

 

Einst lehrten uns Luther und Calvin, dass der Mensch nichts an seinem Schicksal ändern kann.  Selbst wenn wir ein tugendhaftes und erfolgreiches Leben führen, hat das nichts mit uns zu tun. Es ist lediglich ein Zeichen Gottes, dass er uns auserwählt hat. Warum er das aber tat, wissen wir nicht. Nicht der Mensch, nur Gott besitzt die Macht zu bewirken. Kaum noch einer glaubt heute ernsthaft an die Prädestinationslehre, der Vorherbestimmtheit. Gott habe bereits vor unserer Geburt Verdammnis und Erlösung unserer Seele bestimmt. Wir glauben nicht mehr an Gott. Wir glauben ja nicht einmal mehr an Verdammnis oder Erlösung.
Geblieben ist unser Ohnmachtsgefühl. In den Nachrichten zeigen sie uns mächtige Männer und Frauen, die wichtige Dinge sagen. Aber von 80 Millionen Deutschen haben 79.999000 das Gefühl nichts zu bewirken. Das Gefühl wird bei Arbeitslosigkeit unerträglich. Arbeit hat bei uns immer noch einen Zwangscharakter. Unser aller Streben sucht das bohrende Gefühl von Zweifel und Ohnmacht zu überwinden. Wir arbeiten gegen die Angst und nicht aus innerer Kraft und Selbstvertrauen. Die Angst treibt uns morgens aus dem Bett und in die ungeliebten Büros, die Angst peitscht uns voran, wenn wir im Workout neonbeleuchtet durch den Park joggen. Es kann sich nur um Gefühle von Angst, Zweifel und Ohnmacht handeln, die einen ausgewachsenen männlichen Primaten dazu bringen sich in einen Audi Q7 zu zwängen und sich mit zwei Tonnen Blech vor der Welt zu schützen. Wie klein und machtlos muss sich dieser arme Mensch fühlen! In Deutschland ist die Automobilindustrie von Gott auserwählt. Es ist dieser tief verankerte Glaube an die Prädestination, die den gottlosen Menschen heute in den Fetisch „Auto“ treibt. Die Automobilität ist kein Ausdruck selbst erbrachter Leistung auf die man stolz ist, sondern göttliches Zeichen dafür, dass man auserwählt ist. Ein Auto zu fahren ist keine rationale Entscheidung. Die Zahl der Verkehrstoten liegt weit über den Opferzahlen von Krieg, Genozid oder Terrorismus. Die Anzahl der Verletzten wird auf jährlich etwa 40 Millionen geschätzt. Auf Deutschlands Straßen sterben jährlich 4.000 Menschen. Allein im letzten Jahr wurden über 70 Millionen PKWs hergestellt. In Deutschland arbeiten eine Million Menschen allein in der Automobilindustrie. Jesus würde heute nicht mehr auf einem Esel in die Stadt Jerusalem einreiten. Die Gesamtlänge des deutschen Autobahnnetzes beträgt 13.000 Kilometer.  Das entspricht zweimal dem Umfang des Erdradius. Laut Statistischem Bundesamt betrug die Menge der von Pkw in Deutschland ausgestoßenen Co2-Emissionen 2017 115 Millionen Tonnen. Die auserwählten SUV-Fahrer und die Zwangsarbeiter der Automobilindustrie tragen also erheblich dazu bei auch die immobilen Menschen in die Verdammnis zu stoßen. Den Rest besorgen die Fleischindustrie und die Telekommunikationsindustrie.
Allein der Stromverbrauch des Internets verursacht so viel CO2 wie der weltweite Flugverkehr. Die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch belastet das Klima so stark wie 250 Kilometer Autofahrt. Die Dreieinigkeit der Klimakatastrophe heißt Fleisch, Auto und Internet.

Wir müssen endlich zu immobilen, vegetarischen kontemplativen Eremiten werden! Nur so lässt sich der blaue Planet noch vor der auserwählten und unter Arbeitszwang leidenden Menschheit retten. Legt eure Arbeit nieder, verbrennt eure Autos samt Laptop und Smartphone, hockt euch meditierend ins Gras. Und der liebe Gott ernährt euch doch.

 

Streifschuss

vom 18. April 19

 

Anlass: Ostern

 

„Du Opfa“

 

Da nun wieder einmal mit Hilfe bunter Ostereier Christi Opfertod gefeiert wird, stellt sich dem aufgeklärten, aber barbarischen Antichrist die Frage, ob es sich bei diesem Fest um einen Atavismus heidnischer Opferrituale handelt. Diese Frage stellte sich vor 90 Jahren auch der linksliberale Autor Werner Hegemann in seiner Streitschrift Der gerettete Christus oder Iphigenies Flucht vor dem Ritualopfer. Daraufhin wurde er angezeigt. Doch die Zeugen, die Hegemann in seiner Schrift aufrief waren einfach zu glaubwürdig, Aischylos, Euripides, Sophokles, Luther, Goethe, Schopenhauer und sogar Nietzsche bürgten für Hegemanns Resümee, dass es sich bei der Auferstehung nicht um einen Atavismus handelt. Dennoch ist aus heutiger Sicht eine Auferstehung nicht möglich, wenn nach §3 TPG der nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Ob Jesus‘ Grab heute aus ganz anderen Gründen leer wäre? Zwölf Jünger treffen sich zum Organspender-Abend mal?
Was allerdings möglich sein könnte und Grundlage der beginnenden Festtage – lateinisch: festum paschale – ist die Befreiung aus der Sklaverei. Jesu Kreuzigung fand nach den Synoptikern am Hauptfesttag des Pessach, dem 15. Nisan, statt. Die Juden feiern hier den Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus der Sklaverei.  Nach dem Johannesevangelium dagegen starb er am 14. Nisan zur selben Zeit, als die Pessachlämmer im Jerusalemer Tempel geschlachtet wurden. Ob Odin nun am Baum hing, oder Jesus am Kreuz ist heute den meisten einerlei. Wichtig ist, dass man der für den kapitalistischen Mehrwert schuftenden Bevölkerung mal ein paar Tage Ruhe gönnt. Natürlich nicht allen. Denn die Auslöschung der Menschheit durch den totalitären Kapitalismus muss ja weiter gehen. Unser verklärtes Tausch-System, das wenige reich macht und die meisten in Armut hält, wird auch während der Feiertage von vielen ein Opfer verlangen. Jesus hat sich ja für uns alle ans Kreuz nageln lassen, hat sich selbst oder sein Selbst geopfert. Denn ein Gott wird man nur, wenn man seine Menschlichkeit aufgibt. Und damit sind wir im Kern des Kapitalismus angelangt, der von uns allen dieses Opfer verlangt. "Der Kunde ist nicht König." Pause. "Er ist Gott. Er entscheidet über Leben und Tod ihres Unternehmens", sagt der Managementtrainer aus Neumarkt/Oberpfalz und Gründer des Beratungs- und Trainingsinstituts Metatrain, Johann Beck. Damit ist klar, dass wir als Konsumenten auf unsere Menschlichkeit verzichten. Wie ein Gott opfern wir uns im Tausch für ein neues Smartphone, einen schicken Neuwagen, oder einfach nur für ein Plastikschälchen bunt bemalter Ostereier. Jeder Einzelne ist als Mensch nur ein Opferlamm. Aber als Konsument stehen wir einem Zeus in nichts nach. Wir fühlen diese Ambiguität bei jedem Tauschakt. Daher stehen wir alle am folgenden Dienstag wieder auf und gehen arbeiten. Wir dienen nicht, wir verdienen – es. So wird das Ding im Tausch wie in einem Zauber erworben und geht als Kraft auf den Konsumenten über. Je größer das Auto, je größer die Villa, desto gottgleicher. Wird es also Zeit, Milliardäre ans Kreuz zu nageln? Könnte ihr Opfer uns von den Sünden rein waschen? Hm? Das hat nicht mal Jesus geschafft. Oder sagen wir mal so: Inzwischen haben wir wieder ordentlich zugelegt, was unser Sündenregister angeht. Um die ganze Scheiße weg zu schippen, die der Mensch schon angerichtet hat, müssen wir konsumieren, was das Zeug hält. Wirklich alles auffressen. Und das tun wir ja gerade. Mir aber ist schon schlecht.

 

 

Streifschuss 05. April 19

 

Anlass: worüber man lachen kann?

 

Pat und Patachon – gute alte Zeit

 

 Was ist groß und was ist lächerlich? Wohl wegen meiner eigenen kleinbürgerlichen Laufbahn liebe ich gerade jene, die zwar groß zu nennen sind aber doch aus einem gewissen Rand kommen. Sie stehen seltsam im Zentrum der Geschichte und verweisen auf ein grundlegendes Problem. Wie sich Außenseiter immer wieder durchsetzen und die Profilierten ihrer Zeit in Vergessenheit geraten, ist weiter unerklärlich. Kunst ist immer noch in der Lage gesellschaftliche Konvention aufzubrechen. Und so ist der Kleinbürger nicht immer klein. Er wurde inzwischen zum Pejorativ und ihm gegenüber steht der Großbürger. Die Boheme ist der Antibürger. Heute ist der Bürger ein weitestgehend sinnentleerter Jargon-Begriff der Politik. Sein einst so aufgeladener Sinn wird inzwischen auf jeden und auf alle angewandt. Der Nihilismus gegenüber den immer noch bestehenden ökonomischen Klassen macht aus den Bürgern einen begrifflichen Freibrief. Die Weigerung der modernen Politik Klassenunterschiede anzuerkennen macht aus dem arbeitslosen und von Hartz IV abhängigen „Bürger“ letztlich eine Witzfigur. In den randständigen Gebieten ökonomischer Verwilderung wachsen Pflanzen, die noch einen Namen brauchen. Auch dort findet Kunst und Kultur seine Inhalte. Insofern ist ein Einsiedler der sich dank Fortuna zum reichen Kriegsherrn aufschwingt keine barocke Gestalt, sondern modern. Beim Autor des Simplicissimus Teutsch handelte es sich um einen Kleinbürger, der im Rahmen der damals vorhandenen Möglichkeiten seine Karriere machte, und der ganz und gar nicht mit den hohen Ansprüchen eines Martin Opitz daher kam. Wie im Schatten der Mächtigen etwas Selbstmächtiges erblüht, das verweist auf eine Brücke. Das Problem des Kleinbürgers ist sein Dünkel. Dem kann die Satire ein Schnippchen schlagen. Doch bei aller Satire besteht die Gefahr des Ernstes permanent. So sehen wir das bei Jan Böhmermann, der Angela Merkel verklagte, weil sie sein peinliches Schmähgedicht an Erdogan als „bewusst ehrverletzend“ bezeichnete. Der Kleinbürger Böhmermann kann hier die Grenze zwischen Satire und Ernst nicht mehr einhalten. Und vielleicht ist so manches Große aus dem randständigen Zentrum der Literatur satirisch angetreten und wird inzwischen fälschlich für groß gehalten. So wäre der Kleinbürger gut beraten, wenn er in seinen Sphären bliebe. Die Herausforderung einer so fluiden Kunst und Kultur wie im Kapitalismus eben üblich ist es, das immer wieder zu verhandeln. Und das geht nur mit horizontaler Toleranz, einer Toleranz auf Augenhöhe. Ergo: Große Kunst entsteht durch Anerkennung. Und Anerkennung ist die Achtung der Bedürfnisse von Menschen, die einem nicht gleichgestellt sind, oder eine andere Meinung vertreten. Und das sollten wir dialektisch verstehen. Anerkennung der Kleinen von den Großen und Anerkennung der Großen von den Kleinen.

 

Streifschuss
vom 31. März 19

 

Anlass:  ein Versuch das Licht zu dimmen um sich nicht blenden zu lassen

 

 

 

 

Das glänzende Buch

 

Schon immer hat sich der Mensch zu leicht von Kosmetika täuschen lassen. Etwas Rouge auf der Wange betont die Wangenknochen und übertrumpft echten Liebreiz. Viel Unglück resultiert aus dieser Täuschung, denn die Folge ist Enttäuschung, die bittere Erkenntnis seinen eigenen Sinnen nicht mehr trauen zu können. Den Menschen ist der Geschmackssinn zwar angeboren, aber es bedarf einer Ausbildung, um einen guten Geschmack zu entwickeln. Nun bin ich kein Puritaner der Kosmetik generell verachtet. Nein, es gehört auch zum guten Geschmack Kosmetik stilvoll einzusetzen. Aber eine Ökonomie in der vor allem die Täuschung im Vordergrund steht, verdirbt den Geschmack. Wir leben nicht in einer wahren Welt, sondern in einer Warenwelt. Die Dominanz der Verkäufer reduziert alles auf das Äußerliche. Der Buchmarkt bleibt davon nicht verschont. Der erste Blick des Lesers fällt auf den Umschlag. Überzeugt ihn das Bild auf dem Umschlag, schaut er sich den Umschlagtext an. Überzeugt ihn dieser, sieht er sich die Vita des Autors an und vielleicht liest er noch die ersten Zeilen. Oder im schlimmsten Fall hat er schon mal von diesem Buch oder Autor gehört. Ein geübter Leser ist nicht so leicht zu überzeugen. Aber die Verwirrung ist groß, denn unsere Ökonomie vermittelt den Eindruck dass täuschen und tauschen Synonyme sind. Den Verkäufer interessiert oft nur der Verkauf. Das folgende Schicksal der Ware geht ihn nichts mehr an. Ob der Leser das gekaufte Buch enttäuscht ins Regal stellt oder gar in die Tonne wirft – das interessiert nur die Idealisten. In der Literatur gibt es sie noch und so mancher Verkäufer eines Buches hat auch den Anspruch, dass das Buch gelesen wird, dass darüber gesprochen wird. Das nennt man heute Nachhaltigkeit. Der Massenbetrieb aber verheizt gerne gute Schriftsteller und verkauft schlechte Schriftsteller. Es ist dieser Sorte Verkäufer ganz egal. Das ist das Problem mit dem Buch auf Anfrage, einem Buchmarkt ohne Geschmackswächter. Der Tauschprozess beim Self-Publishing ist dagegen eine Täuschung für Verkäufer und Käufer.  Der Aufwand an Zeit und Geld, um eine Ware produzieren zu können die auf diesem Markt wirklich mithalten könnte, ist enorm. Die meisten verkauften Bücher sind so genannte Bestseller oder Spitzentitel und diese werden am meisten und meist von Gelegenheitslesern gekauft. Der verbleibende Kuchen für Nicht-Bestseller verkleinert sich exponentiell mit den in Massen verkauften Einzeltiteln. Regale sind eben begrenzt.
Auch zuletzt in Leipzig bei der Buchmesse 2019 diskutierte man vor allem Absatzzahlen und sorgte sich um einen Rückgang der Verkaufszahlen. Was zurück geht ist aber nicht die Verkaufszahl, sondern der gute Geschmack. Jetzt ist das einerseits ein Gewinn von Freiheit, dass man sein Buch kostengünstig digital verbreiten kann. Und rückgängig lässt sich das ohnehin nicht mehr machen. Doch Verkaufsriesen wie Amazon (17 Prozent Anteil am Buchhandel) täuschen den unbedarften Leser und Autor so sehr, dass das Vertrauen in die Literatur als eine seriöse Vermittlung von Gedanken leidet. Da Bildungsangebote dem gleichen Verkaufsdruck unterliegen, wird auch viel Unsinn über die Literatur verbreitet. Auch das müssen wir in einer freien Welt hinnehmen. Einerseits wird unser Geschmack durch das Angebot der Bücher geprägt und andererseits prägt unser Geschmack das Angebot der Bücher. Diese Wechselwirkung zeigt aber auch, dass es einseitig wäre, sich auf die Wächter des Geschmacks zu verlassen. Denn auch sie verkaufen nur. Wieder einmal zeigt sich, dass Karl Marx den Finger auf eine düstere Wunde des Kapitalismus legte, als er vom Warenfetisch schrieb. Denn auch Bücher leiden darunter, dass sie bestimmte ihnen als Ware zugeschriebenen Eigenschaften nicht haben. Der Bestseller ist nicht immer ein gutes Buch. Und das selbst produzierte Buch nicht immer schlecht. Die Verkaufszahlen verweisen nur auf die Fähigkeit des Verkäufers. Das Buch selbst ist ein nützliches Ding, das uns etwas lehren kann. Aber bei Ware und Wert handelt es sich um bestimmte gesellschaftliche Zuschreibungen. Es ist kein Wunder, dass auch das Buch bei einer Messe gefeiert wird. Der eigentliche Gegenstand verschwindet hinter der Ware und daher nutzt uns auch der Geschmack nichts mehr wenn wir ein Buch kaufen. Wir müssen es nämlich immer noch lesen. Wäre ich ein Puritaner, würde ich vorschlagen, dass sich kein Buch äußerlich vom anderen unterscheiden darf und Buchwerbung wäre verboten. Oder wenigstens mit dem Zusatz versehen: Vorsicht, dieses Buch könnte Ihren Geschmack zerstören. Aber ich bin ja kein Puritaner und daher ist das Licht meiner Erkenntnis in diesem Fall eine Funzel.   

Streifschuss

vom 16. März 19

 

Anlass:

Kurz vor dem Erbrechen

 

Das hässliche Quartett und die Antwort auf den Feminismus

 

Slavoj Zizik regt sich in der NZZ vom 14. März darüber auf, dass die Feministinnen das Erotische entzaubern würden. Feministinnen seien seiner Meinung nach „unsexy“. Dabei ist doch dieser alte, hässliche Gnom Slavoj Zizek (Diakritika-unwürdige Eure Hässlichkeit – siehe rechts oben) die personifizierte Entzauberung von Erotik. Gemeinsam mit seinen alten, weißen Männerfreunden, mit ihren hängenden Männerbrüsten, schlaffen Hodensäcken und nach verdorbenem Teig riechenden Männeratem gehört Zizek zu den wenigen Bordellbesuchern, die vermutlich abgewiesen würden. Als alte weiße Männer, hässlich und körperlich deformiert, vergreifen sich diese Zizeks, Houllebecqs, Schröders und Sloterdijks ein letztes Mal voller Verzweiflung am jungen Fleisch und evozieren Bilder, die man nicht haben will. Warum sollte das sexuelle Objekt nicht entmystifiziert werden? Was ist denn an dem Katholiken-Sex so toll? Unter der heimlichen Kutte eines Bischofs weihräuchert ein alter Schwanz, syphilitisch zersetzt als traurige Monstranz. Ist das Zizeks Mystik? Wahrscheinlich. Schon früh lehrte sie der Katechismus schlimme Dinge und das hat vermutlich auch ihr Gehirn vulvarisiert. Für solche alten Schweinemänner ist damit längst der Urologe zuständig denn sie predigen tatsächlich vom Katheter herab.  Die Würdelosigkeit dieser - zu kurz gekommenen- Arschgrabscher zeigt sich auch deutlich im Äußeren. Man kann das nur mit bitterem Desinfektionsmittel verscheuchen. In Gegenwart dieser heiligen Schwänze mag so manche junge Frau eine Gelegenheit erblicken. Das ist legitim. Mag der Glanz alter, weißer Männer auch voll Patina sein und etwas muffeln, so ist es immerhin noch Glanz. So manches Gretchen mag sich dann zwar über sich selbst verwundern, aber nach dem Golde drängt, am Golde hängt doch alles. So gehört nicht nur das Sex-Objekt entmystifiziert, sondern auch das Gold-Objekt. Entmystifizieren wir also den Schwanz. Machen wir klar, dass die Rektum-Ampulle unmittelbar an die Prostata grenzt und jeglicher Kotstau (alte Männer haben meist Verdauungsprobleme) auch zu einem Samenstau führen kann. Sind wir uns darüber im Klaren, dass das Smegma alter Männer hartnäckig, klebrig und miefig ist. Oh! Und dazu noch diese Gesichter! Wer –zum Teufel – ist hier eigentlich unsexy?

 

Streifschuss

vom 14. März 19

 

Anlass: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich.

 

Kamele sind auch nur Menschen

 

Wir kennen alle das berühmte Kamel das viel leichter durch ein Nadelöhr geht, als der/die Reiche ins Himmelreich. Die Frage ist aber, wie rechnet der/die liebe Gott*in? Rechnet er/sie in absoluten Zahlen? Dann stehen meine Chancen eher mau. Die Schlange der vielen armen Menschen weltweit ist verdammt groß. Immerhin eine Milliarde Menschen auf der Welt verfügt über weniger als zwei Dollar Kaufkraft am Tag.  Aber rechnet Gott*in in relativen Zahlen, ist die Menschenschlange in der ich zum Himmelreich anstehe deutlich geschrumpft. Aber immer noch lang genug um viel Geduld mitzubringen auf meine Reise ins Himmelreich. Wird dauern. Vor mir stehen eine Million Obdachlose allein in Deutschland, 20 Millionen relativ Arme allein in Deutschland. Also mein irdisches Dasein ist immer noch nicht unglücklich und darbend genug, um mir leichthin das Paradies nach dem Leben zu erschließen. Jetzt fängt der Handel an. „Hey Gott*in“, könnte ich sagen, „was kann ich dafür, dass ich zufällig Glück hatte und im scheiß Westen zur Welt kam, und mit scheiß Eltern mit scheiß Eigenheim? Scheiß kostengünstige Bildungschancen mit einer scheiß guten Infrastruktur?“ Gott*in würde seine/ihre göttliche Hand heben, damit abwinken „So rechnen wir hier oben nicht. Und hör gefälligst auf zu fluchen.“ Seine/Ihre göttliche Stimme mindestens so erhoben oder erhaben wie die Hand.
Aber wie rechnet man denn nun da oben? Das war ja meine Eingangsfrage. Und schon sind wir im irdischen Handel verstrickt und diskutieren fleißig die Verteilungsfrage. Wer darf wer will wer hat noch nicht? In den alten gläubigen Zeiten haben die Reichen einfach viel gespendet, mal einen Kreuzzug finanziert oder ein paar Bischöfe durchgefüttert. Der Ablass-Handel hat aber leider eine fundamentale Gruppe erbost, die das für die falsche Rechnungsart hielten. Das Problem ist ja dabei, wen oder was finanziert man als Reicher, um zuverlässig ins Himmelreich kommen zu können. So zufällig wie im Himmelreich gerechnet wird, so zufällig wird im Erdenreich gehandelt. Das hebt sich auf. Daher bleibt es leider meine Bürde, meinen in absoluter Mathematik großen Kamelbuckel und meinen in relativer Mathematik mittelgroßen Kamelbuckel ins Himmelreich zu tragen. Götter können oder wollen mir da nicht helfen. Das Erdenreich genießen und möglichst nicht auf ein Nachleben hoffen? Zumal wenn die Aussicht auf Hölle oder Fegefeuer größer ist, als auf das Himmelreich. Jedenfalls als Wartezeit. Vielleicht ist das der Grund, warum im Westen die Religion keine so große Rolle mehr spielt. Die Religion liefert uns keine Motivation mehr, für ein moralisches Handeln. Die Vernunft ist nur eine schwache Motivation für ein moralisches Handeln, denn die Vernunft rät mir dazu, mein Erspartes in dreckige aber Rendite freundliche Wertpapiere anzulegen bevor es von Negativ-Zinsen aufgefressen wird. Meine Moral rät mir davon ab. Meine Vernunft sagt mir, dass Reichtum ein gutes Ruhekissen ist. Meine Moral sagt mir, dass mein Reichtum andere ärmer macht. Jetzt: wer ist schon gerne unvernünftig? Wer ist schon gerne unmoralisch? Vernunft schließt die Moral aus und die Moral die Vernunft. Das ist die Paradoxie des Himmelreichs.

 

Streifschuss

vom 13. März 19

 

Anlass:

Die Apokalypse

 

 

 

Schweine sind meist die Menschen

 

Man könnte die drohende Post-Antibiotika-Ära auch im Sinne von Adornos Dialektik der Aufklärung deuten. So ziehen sich immer mehr Pharma-Konzerne aus dem Antibiotika-Business zurück, weil das Geschäft unsicher geworden ist. Die Erforschung und Herstellung eines neuen wirksamen Antibiotika-Präparates dauert zehn Jahre und kostet ein bis zwei Milliarden Dollar. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es nur kurz auf dem Markt ist, weil die Bakterien schon wieder eine Resistenz entwickelte, macht das Geschäft unrentabel. Hinzu käme, wenn die Ärzte es vorerst nicht einsetzen weil sie ein  Reserve-Antibiotikum brauchen, verhindert weiter, dass die Industrie damit Geld verdient. Massenherstellung und Markt führen damit zu echten Toten, die eigentlich vermeidbar wären. Doch wenn das Antibiotika-Geschäft aufgegeben wird, dann können die Pharma-Produzenten auch ihre Krebstherapeutika oder andere Therapeutika nicht mehr verkaufen, weil diese letztlich nur Sinn machen, wenn man durch Antibiotika Folgeinfektionen verhindern kann. So droht ein systemischer Zusammenbruch der Pharmaindustrie aufgrund von Rendite- und Marktüberlegungen. Damit zeigt sich die instrumentelle Vernunft (Adorno/Horkheimer) von ihrer menschenverachtenden Seite. Ein weiterer Aspekt ist dabei zu sehen: Die Landwirtschaft setzt zur Steigerung der Muskelmasse und zur Beschleunigung der Schlachtreife von Tieren jetzt schon Reserve-Antibiotika ein, die eigentlich der Human-Medizin vorbehalten sein müssen. Der industrialisierte Fleischhunger führt damit zu einer Explosion multiresistenter Keime und auch dazu, dass die existierenden Antibiotika nicht mehr helfen bei der Bekämpfung menschlicher Infektionen. Dann kommt ein weiterer Aspekt dazu. Die Entwicklungsländer und Schwellenländer (vornehmlich die südostasiatischen Länder) leiden immer mehr unter den multiresistenten Keimen, weil sie sich die Antibiotika nicht leisten können. Also kommt es zu Behandlungsfehlern und zu weiteren Resistenzen bis hin zu panresistenten Keimen. Es ist die Institution Markt und die Halbbildung (im Sinne des Bildungsverfalls) die uns medizinisch wieder 200 Jahre zurückwerfen wird und ein weiterer Beitrag zur globalen Katastrophe ist. Eine erschreckende Realität!! Hier sollten Sie Nerven haben, wenn Sie sich diese Arte-Dokumentation ansehen, die noch bis Mitte April auf dem Videocast des Senders zu sehen ist.

 

Kampf gegen die Resistenz - Die globale Antibiotika-Krise

 

 

 

 

Streifschuss

vom 11. März 19

 

Anlass: Eine Gruppe Idioten verteidigt die deutsche Sprache

 

 

Weiße Männer riechen schlecht

 

Da ich ja inzwischen auch zu den alten weißen Männern zähle und nach allgemeiner soziologischer Diagnose unter Wut leide, dachte ich: Schreib doch mal eine Wutpredigt. Also auf in den privilegierter Weißer-Mann-a-i-i-i.  (a-i-i-i = Angstschrei der Lakota-Sprache)…

In letzter Zeit kommt es wieder in Mode, dass sich Schriftsteller politisch einmischen.
E-i-i-i (drückt in der Lakota-Sprache Bedauern aus) - Ach Schriftsteller. Du leicht vergebene Signatur.  Sie hätten es besser gelassen. Von Thomas Mann bis Günter Grass, von Rüdiger Safranski bis Lewi-Dingsbums, - ne nicht –wandowsky, Wassiski? Ne – egal. Jedenfalls ist der VDS was anderes als der VdS. Sie wollen zum Beispiel, dass die deutsche Sprache ins Grundgesetz aufgenommen wird. Ah ja! Haben die versehentlich die kirgisische Ausgabe des GG gelesen? Sie beschäftigen sich lieber mit dem Sammeln von Anglizismen, als Rassismus, Diskriminierung und die Lingua Tertii imperii zu bekämpfen. Mitglieder sind der verstorbene Adenauer, der Mainzer Fassenacht-Held Herbert Bonewitz, ein Professor der die Bibel ins saterfriesische übersetzt hat, ein Habsburger, ein Hahne und ein Hallervorden. Hahaha. Und jetzt regen sich diese geistigen Dünnbrettbohrer über die politisch korrekte Sprachregelung auf. Es ist armselig. Achtung Argument: So ist die Kritik der rechten Gesinnung an der politisch korrekten Sprache eine antiaufklärerische Haltung, die den geistigen Fortschritt negiert und einen naiven Glauben an die Natürlichkeit von Sprache hegt. Abgesehen davon, dass die heutigen Nazis nur das kritisieren, was ihnen in den Kram passt. So ist den heutigen Nazis völlig entgangen, was man mit dem Kinderbuchklassiker von Enid Blyton machte (The Adventurous Four von 1941).  In dem Buch entdecken die Arnold-Kinder während des Zeiten Weltkriegs einen geheimen U-Boot-Stützpunkt der Nazis vor der Küste Schottlands und werden von deutschen Soldaten mit Hakenkreuz-Armbinde gefangen genommen. Als das Buch 1969 in Deutsche übersetzt wurde, machte man aus den deutschen Nazis unpolitische Waffenschmuggler, ungenannter Nationalität, ließ die Geschichte aber weiterhin im Zeiten Weltkrieg spielen. Solche Beispiele gibt es viele. Aber das wollen die selbsternannten Sprachwächter nicht wissen. Gleichstellung von Mann und Frau käme ihrer Ansicht nach nicht zustande, wenn man ein Sternchen macht. Klar. Aber ohne auch nicht. Es ist bitter, es ist traurig und ein Nazi-Erbe. Denn die wirklich großen Geister hat der Hitler einst aus dem Land gejagt. Geblieben sind die Adenauers und Fassenacht-Büttenredner. Geblieben ist eine AKK die einfach nur strohdumm ist. Bald haben wir eine Kanzlerin bei der ein IQ nicht mal mehr in Spurenelementen nachweisbar sein wird. Mit schlechter Performance, mit kreischender Stimme ohne Prosodie und ohne Inhalte verteidigt dieser homophobe Polit-Clon ihre eigene Dummheit. Erschreckend. Und dazu die Riege der Dumpfbacken aus der literarischen Ecke. Allein Safranski, der selbst zugibt für einen Gauland Sympathie zu haben. Was ist das für ein Troll?

Meine Wut ist hier künstlich – denn ich möchte nur heulen und mich fremdschämen. Ende der Wutpredigt.

 

Streifschuss vom 18. Februar 19

 

Anlass: Leben selbst ist wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren, Unterdrückung, Härte, Aufzwängung eigner Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens, Ausbeutung -
(Was ist vornehm? – Nietzsche neuntes Hauptstück aus Jenseits von Gut und Böse)

 

Die Wahrheit ist hart

 

Ich betrachtete eingängig meine Gefährten. Du und du, dachte ich und auch du, hast sicher das Volksbegehren gegen das Bienensterben unterschrieben. Wir alle haben das doch. Vor einigen Jahren hätte man uns ausgelacht dafür und wir hätten nur ganz verschämt von den armen Bienen getuschelt. Heute würde man uns verurteilen, wenn einem die Biene egal ist. Wie immer standen wir – meine Gefährten und ich  im Kampf für die Umwelt - in der U-Bahn, spielten mit unseren Smartphones, hörten Musik über einen dezenten Kopfhörer, waren vom Kopf bis zum Fuß in Konsumartikel gehüllt, die Millionen von Kilometern zurück gelegt hatten, um ihr individuelles Ziel zu erreichen. Die U-Bahn in der wir standen, bestand aus mehreren Tonnen Stahl und Kunststoff, die in Hochgeschwindigkeit durch einen tief in die Erde gegrabenen Betontunnel raste.
Seit Jahrtausenden schützt sich der Mensch vor der Natur, vor Hunger, Kälte, Schmerz. Er baute dicke Häuser, große Kraftwerke und breite Kanäle, erfand Transporttechniken, Logistik-Strategien und quälte Tiere, um Medikamente, Kosmetika und Nahrungsmittel so herstellen zu können, dass wir noch älter, noch gesünder und noch leistungsfähiger werden. Jetzt wendet sich das Blatt und wir Menschen müssen die Natur vor uns schützen. Haben Sie heute schon warm geduscht? Ins Internet geschaut? Eine Verpackung aufgerissen? Ein Medikament genommen? Ein Duschgel beim Waschen benutzt? Das Licht eingeschaltet und Strom verbraucht? Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht, wie unnatürlich das ist? Und wie viele Feuchtbiotope hat der typische Großstadtmensch in seinem Leben gesehen? Die Zahl der Discounter die der Großstadtmensch in seinem Leben zu sehen bekommt, übersteigt bei weitem die Zahl der Feuchtbiotope. Warum? Weil uns Feuchtbiotope nicht ernähren können. Und doch wissen wir, dass all die kapitalistische Konsumglückseligkeit einen Preis hat. Was sich sonst dem Blick empfohlen, mit Jahrhunderten ist hin. Keine Rettung ist vorhanden. Die menschliche Tragödie nimmt ihren vorbestimmten Lauf. Es ist die Ironie des Schicksals, dass nun das, was so gut war (all der Luxus, die Wärme, der Schutz) nun unser Untergang sein wird.
Ich blickte also meine Gefährten in der U-Bahn an und beobachtete ein Pärchen. Beide hatten sie ihr Smartphone an und unterhielten sich mit abwechselnden Blicken auf das eigene Display und das Display des Partners. Obwohl sie beide nah beieinander standen, sahen sie sich nicht an, sondern fühlten den Partner über sein Display. Dieses diodenhafte Dasein empfand ich als Symbol für die menschliche Distanz zur Natur. So viele Jahrtausende aufgebaute Distanz lässt sich nicht in ein paar Jahren wieder abbauen. Die Natur wird uns mit grimmiger Ignoranz ins Gesicht schlagen und unsere luxuriösen Träume fliegen uns um die Ohren. Der Mensch bleibt ein Traum von Frieden, Schutz und Freiheit. Das Paradies eine Utopie. Nicht von dieser Welt.  Das jetzt anstimmende Geheule klingt nicht sehr vornehm.

 

Streifschuss
vom 15. Februar 19

 

Anlass: alte Notizen durchsucht und was gefunden, um Jens Spahn zu dissen

 

Beinahe gäb ’s mich gar nicht – hätten wir auch überlebt

 

Durch das Lesen kam ich auf folgendes, dass die Verhütungspille erst ab 1972 auch an nicht verheiratete Frauen  verschrieben wurde. Zuvor war sie für ledige Frauen schlicht nicht zu bekommen. Ich bin Jahrgang 1964. Und ich bin ein Bankert. Nur ein halbes Jahr nach meiner Geburt heiratete meine Mutter. Sie bekam die Pille und ich blieb ihr einziges Kind. Hätte man ein paar Jahre früher erlaubt, die Pille an Unverheiratete Frauen zu verschreiben, dann gäbe es mich gar nicht. Hätten mein Vater und meine Mutter sich nicht zufällig im Freibad getroffen, gäbe es mich auch nicht. Wir haben uns nicht selbst geschaffen, sondern sind in der Welt durch etwas, das nicht wir sind. Das wird heutzutage gerne vergessen.  Denken ist also eine Form des Verknüpfens von Tatsachen. Denn es ist eine Tatsache, dass die Pille erst 1972 für ledige Frauen zugänglich wurde. Und es ist eine Tatsache, dass ich ein uneheliches Kind war, das 1964 geboren wurde. Es ist eine Tatsache, dass meine Mutter kein weiteres Kind bekam und sich mit der Pille davor schützte. Das war nur möglich, weil sie meinen Vater heiratete. Mich gibt es dank einer sehr restriktiven Sexualpolitik, die vor allem das Wohl vieler lediger junger Frauen aufs Spiel setzte. Das ist der rationale Aspekt. Dass ich diese restriktive Politik gegenüber jungen Frauen für ungerecht halte und eine von biologischen Konsequenzen freie Sexualität für einen Gewinn halte, weil er uns moralisch befreit, das ist einer Idee geschuldet. Zu meinem rationalen Wissen aus dem Vergleich von Tatsachen gesellt sich nun eine Idee. Diese kommt nicht aus meinem Verstand. Denn es wäre irrational, etwas für gerecht zu halten, was dazu führt, dass ich selbst nicht existiere. Meiner Idee der Gerechtigkeit liegt ein Gefühl zugrunde. Aber dieses Gefühl wiederum entspringt einer Reihe von Tatsachen. Es sind Tatsachen, dass viele junge Frauen aufgrund der biologischen Konsequenz schwanger zu werden, in ein gesellschaftliches Abseits gedrängt wurden und sie in der Folge sogar zur Delinquenz gezwungen wurden. Entweder sie verheimlichten ihren Zustand, oder sie töteten das kleine Kind gleich nach der Geburt, oder sie gaben es weg, oder sie mussten in gesellschaftlich geächteten Berufen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu fristen. Eine Befreiung der Sexualität durch Verhütung benötigt nicht nur eine Pille, sondern ein Bewusstsein dafür. So kann auch der Mann verhüten. Aldous Huxley hat dagegen schon früh einen dezenten Einspruch erhoben. In seinem Debütroman „Crome Yellow“, lässt er Mr. Scogan (eine Karikatur von Bertrand Russell) sagen: „Mit dem Grammophon, dem Kino und der Selbstladepistole hat die Göttin der angewandten Wissenschaft der Welt ein weiteres Geschenk gemacht, kostbarer als die genannten – nämlich die Möglichkeit, die Liebe von der Fortpflanzung zu trennen. …Die unpersönliche Zeugung wird an die Stelle des abstoßenden natürlichen Systems treten. In gewaltigen staatlichen Brutkästen werden endlose Reihen von Flaschen mit einer Lösung keimenden Lebens die Welt mit der erforderlichen Bevölkerung versorgen. Das Familiensystem wird verschwinden. Die an ihrer Basis unterminierte Gesellschaft wird sich neue Grundlagen suchen müssen, und Eros, in einer wunderbaren, aller Verantwortung ledigen Freiheit, wird wie ein Schmetterling durch eine sonnenbeschienene Welt von einer Blume zur andern flattern.“ Zuvor hatte  sich diese Gesellschaft auf dem Lande eine Schweinezucht angesehen. Und Scogan sagt: „Schauen Sie sich das an Sir.“, sagte er, mit der Hand auf die sich im Schmutz wälzenden Schweine weisend. „Man nennt sie mit Recht Schweine.“
„Mit Recht, allerdings“, stimmte ihm Mr. Wimbusch bei.
„Und gern würde ich mit dem gleichen Recht sagen können: Man nennt uns mit Recht Menschen.“
Später hat Huxley in seinem berühmten Roman „brave new world“ dieses System ausgebaut und in Mustafa Mond einen Weltcontroller geschaffen, der die befreite menschliche Sexualität unter staatliche Kontrolle brachte. Genau genommen war die restriktive Politik mit der junge ledige Frauen von der freien Sexualität ausgeschlossen wurden bereits eine Form der staatlichen Kontrolle von Sexualität. Nach 1972 und im Zuge der sexuellen Befreiung durch die 68er wurde die heilige Familie säkularisiert.

 

Streifschuss vom 13. Februar 19

 

Anlass: Thomas Bernhard schrieb ein Winterbuch (Frost) in der Badehose während der Hundstage im Hochsommer

 

Wir lesen – Sie schreiben

 

In seinem Vorwort zum „Sandbuch“ schreibt Jorge Luis Borges: Ich schreibe nicht für eine auserwählte Minderheit, an der mir nichts gelegen ist, noch für jene umschmeichelte platonische Wesenheit, deren Name ‚die Massen‘ lautet. Ich misstraue beiden dem Demagogen so teuren Abstraktionen. Ich schreibe für mich selber, für die Freunde und um das Verrinnen der Zeit weniger schmerzhaft zu verspüren.

Wer so geil schreibt wie Jorge Luis Borges, darf das sagen. Wenn ich das sage, klingt das irgendwie nach einer kleinbürgerlichen Rechtfertigung. Nun. Seit Jahren moderiere ich Literaturkreise und spreche über Literatur. Mir fällt auf, dass viele was von Literatur verstehen, aber kaum einer was vom Schreiben. Das meine ich jetzt – bitte, bitte, veniam in me -  gar nicht böse. Es ist mir nur aufgefallen. Wieso gibt es da eigentlich einen Unterschied? Was unterscheidet die Klugscheißer von denen die verzweifelt um Ausdruck ringen, und sich Tag für Tag, Nacht für Nacht Worte abpressen? Und noch interessanter: Was verbindet sie? Und was geschieht da eigentlich, wenn über Literatur gesprochen wird? Und was bedeutet es, wenn dabei selten bis gar nicht über das Schreiben gesprochen wird, wenn über Literatur gesprochen wird? Fragen über Fragen. Es bedeutet – so meine traurige Feststellung – dass das Buch ein Produkt ist und das Schreiben ein Tun. Und wer was tut, braucht am Ende ein Produkt. Das ist die Ideologie des Kapitalismus. Da ich auch kreative Schreibkurse gebe und mit Menschen zusammenkomme, die einfach gerne schreiben, zeigt sich: Es gibt ein Leben jenseits des Kapitalismus. Das ist schön, und eine Hoffnung auf die wir alle bauen sollten. Reden wir wieder mehr über den Prozess und weniger über das Produkt. Dann wird auch das Leben schöner. Du bist nicht, was du hast – du bist, was du tust. Darf man dann alles tun? Eben nicht. Wenn wir wieder darüber nachdenken, was wir tun und nicht darüber, was wir haben, dann werden wir auch wieder über das Tun selber nachdenken. Und dann hört der Scheiß auf, der oft geschrieben wird. Andererseits ist gerade das so geil am Kapitalismus, dass man alles schreiben, alles machen darf. Das ist eben Freiheit. Wir sollten mal darüber nachdenken, woher unsere Freiheit kommt und was es mit unserer Freiheit auf sich hat und darüber nachdenken, ob diese Art Freiheit die Freiheit ist, die wir wirklich wollten und ob wir wirklich wollen, dass diese Art der Freiheit beschränkt wird und wir wieder drüber nachdenken wollen, ob wir was tun müssen oder nicht?

 

 

Streifschuss vom 11. Februar 19

 

Anlass: Für die Erklärung mit Nichtwissen bestimmt § 138 Abs. 4 ZPO, dass sich eine Partei zulässigerweise nur über solche Tatsachen mit Nichtwissen erklären darf, die weder ihre eigenen Handlungen betreffen, noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind

 

Was weiß denn ich?

 

Man weiß ja zu wenig, sagte eine Kursteilnehmerin, man sei schon froh wenn man weiß dass man nichts weiß. Und das ist gar nicht so einfach, antwortete ich, schließlich weiß man ja nie, was man nicht weiß, drum weiß man es ja auch nicht. Vorher stand ich im Bushäuschen beim Rauchen und zwei junge Männer unterhielten sich über etwas, was ich noch nie gehört hatte, „mit Wärmerückfluss“, sagte einer, „das ist ja auch nicht umsonst“, sagte der andere. Ich wusste nicht einmal wovon die beiden reden, er wusste sogar wie viel das kostet. Dabei sagen die Leute gerne von mir, ich sei sehr belesen. Im Grunde sterben wir alle dumm. Was nutzt mir schon der Stapel Bücher der sich vom Korridor bis zum Wohnzimmer unter die Decke sammelt? So viel Unwissen wird zum Problem, wenn man davon nichts weiß. Also sind es nicht die Bücher, die ich gelesen habe, sondern die Bücher die ich nicht gelesen habe, die schwer auf meinem Gewissen lasten. Und dann fängt man sich einen Porphyromonas gingivalis ein, der passiert vom Zahnfleisch aus die Blut-Hirn-Schranke und deine adaptive Mikroglia amöbisiert sich gerade im anderen Eck deines Hirns – und schon: Alzheimer!  Weg ist die ganze Scheiße! Jahrzehnte mühsamstes Lesen und in einem Jahr findet man nicht mal mehr das Buch dazu. Am Humor Gottes (der Natur oder wie man den ganzen Mist sonst so nennt) kann man da schon zweifeln. Das ist nicht lustig. Wenn man sich das Hirn weggesoffen hätte, wäre man wenigstens selbst schuld daran. Wissen ist Macht? Ich weiß nichts, macht nichts? Und dabei gibt es so viel erschreckende Dummheit die Macht ausübt. Macht das etwa auch nichts? Was ist das für eine Welt, in der harmlose Zahnfleischentzündungen ganze Welten zerstören können und Amöben ganze Welten regieren? Es wundert also nicht, wenn bärtige Nihilisten auf den Gedanken kommen, ihre Eltern dafür zu verklagen, dass sie ihn nicht um Erlaubnis gefragt haben vor der Insemination – die Antinatalisten haben ja auch irgendwie Recht. Diese Asymmetrie zwischen unserer Mühe am Leben und der Ignoranz des Lebens selbst an unserer Mühe ist doch die beste Erkenntnis, die ein Mensch noch haben kann. Ich weiß nichts und was kann ich schon wissen und was nutzt mir dann der ganze Müll? Gibt es ein Paradies kommt man auch ohne Lesen rein. In Eden links von Hawila und rechts von Kusch gibt es Gold oder Onyx aber keine Bibliothek. Amen…

 

Streifschuss
vom 08. Februar 19

 

Anlass:
der Fehlercode

 

Digitalismus

 

Meine mehrfachen verzweifelten Versuche, mich bei Elster zu registrieren, sind gescheitert. Ein besonders angenehmer menschlicher Charakterzug ist es, anderen ihre Fehler zu verzeihen. Der digitalen Welt fehlt dieser Charakterzug völlig. Die künstliche Intelligenz ist unbarmherzig und mit einem christlichen Weltbild nicht vereinbar. Gnadenlos weist mich die künstliche Intelligenz mit einer Fehlermeldung ab. Während die Sachbearbeiterin des Finanzamtes verständnisvoll und freundlich war; ebenso die Sachbearbeiterin der Elster-Hotline rücksichtsvoll und hilfsbereit, fehlte dem Programm jegliches Mitleid. Wäre es nicht irgendwie komisch und anthropomorphisierend, würde ich sagen: Das Elsterprogramm ist ein brutaler und inquisitorischer Korinthenkacker mit durch und durch zwanghaften Zügen. Niemand möchte so jemanden in seinem Bekanntenkreis haben.
Natürlich war ich einfach nur zu dumm. Meine digitale Hilflosigkeit, Unbeholfenheit und Lernschwäche interessierte das Programm nicht. Es meldete einen Fehler und wieder immer wieder einen Fehler. Ich sendete eine wütende Email mit Schimpfworten die ich an dieser Stelle nicht wiedergeben möchte. Keine Reaktion. Der Foltermeister bleibt eisern und stoisch. Ihn interessieren die Schreie des Gefolterten nicht im Geringsten. Sein Job ist es, die richtigen Antworten zu bekommen. Künstliche Intelligenz ist der perfekte Foltermeister und in seiner Unmenschlichkeit kann ihm kein Mensch das Wasser reichen. Die digitale Diktatur ist die schlimmste und unerbittlichste Diktatur, die der Mensch je in seiner Geschichte erlebte. Der Stecker muss irgendwann gezogen werden. Schon jetzt sitzen immer mehr Menschen in den Verwahranstalten, weil ihr Verstand durch digitale Folter zerstört wurde. Da die digitale Diktatur keine Fehlertoleranz hat, muss der digitale Revolutionär die Personifikation des Fehlers sein: Der Virus.

 

 

Streifschuss vom 28. Januar 19

 

Anlass: Ist der Quotient selber eine Zahl?

 

Versuch einer

dialektischen Fleischbeschau

 

Früher glaubte ich an die berühmte Aussage, es gäbe keine gestörten Persönlichkeiten, sondern nur gestörte Beziehungen. Inzwischen bin ich da skeptischer geworden. Eher glaube ich, es gibt deshalb so viele gestörte Beziehungen, weil es eben so viele gestörte Persönlichkeiten gibt. Jetzt ist das natürlich schwer zu beweisen. Wenn man mit dem Finger auf jemanden zeigt, tritt man durch diesen Finger schon wieder in eine Beziehung mit dem Bezeigten. Da könnte dann ein anderer kommen und sagen: „Also ich finde den gar nicht so gestört wie du.“
„Da haben sich wohl dann zwei Gestörte gefunden“, bliebe da nur noch zu sagen. So treten zwei gestörte Persönlichkeiten in eine gesunde Beziehung. Meine Beobachtungen schließen auch den Faktor Zeit mit ein. An manchen Tagen erscheinen mir die Menschen vielfach gestörter als an anderen Tagen. Trete ich an diesen Tagen in eine gestörte Beziehung zu diesen eigentlich gesunden Menschen, oder bin ich an diesen Tagen mental deutlich gesünder und erlebe die erhöhte Differenz zu den gestörten Menschen? Bin ich also im Laufe meines Lebens mental gesünder geworden und erkenne nun an, dass es viele von jeglicher Beziehung ganz unabhängige Gestörte gibt? Oder ist im Laufe meines Lebens meine Beziehung zu den Menschen immer gestörter geworden? Träfe Letzteres zu, dann könnte man immer noch vermuten, dass meine Beziehung zu den Menschen nun gestörter wurde, weil ich erkannte wie  gestört die meisten Menschen sind. Das klärt aber nicht, ob die vielen gestörten Menschen inzwischen auf mich derart abfärbten, dass ich auch gestört bin und damit auch die Beziehung, die ich mittlerweile zu ihnen habe. Ist es schon eine Störung, Gestörte zu erkennen? Wie können zwei Gesunde eine gestörte Beziehung haben? Denn wären sie wirklich gesund, würden sie das sofort erkennen und die Beziehung beenden. Eltern sind daher entweder gestörter als ihre Kinder oder die Kinder gestörter als ihre Eltern, Arbeitgeber gestörter als ihre Arbeitnehmer oder andersrum? Sind Untertanen eines Staates gestörter als ihre Herrscher, weil sie sich nicht von ihren Herrschern trennen? Oder sind beide gestört? Es geht hier nicht um tatsächliche Trennungen, sondern um die Absicht. Ein Kind, das die Absicht hat sich von den Eltern zu trennen ist vermutlich gesünder, als ein Kind das diese Absicht nicht verfolgt. Eltern, die ihre Kinder ins Heim bringen sind gesünder, als solche die es nicht tun. Oder eben wieder anders herum. Wer sich trennt ist nicht automatisch gesünder. Gesund sind nur die, die sich einvernehmlich trennen. Wenn das Kind und die Eltern einverstanden sind mit der Trennung. Wenn die Herrscher einverstanden sind mit den sich von ihnen lösenden Untertanen. Allerspätestens jetzt haben Sie sicher bemerkt, dass das Verhältnis selbst auch gestört sein kann. Und wenn nun sowohl das Verhältnis als auch die Einzelpersonen des Verhältnisses gestört sind erscheint das nach außen gesund. Nur wenn eine Seite des Verhältnisses gesund ist und die andere krank, dann fällt das auf. Und das ist des Rätsels Lösung. Es gibt einfach gestörte Menschen und sie treten in ein Verhältnis, eine Beziehung mit gesunden Menschen. Es ist eine Frage der Widerstandskraft bzw. der Verwundbarkeit der einzelnen Personen inwieweit sie sich von den gestörten Personen krank machen lassen. Aber auch gestörte Menschen erweisen sich als widerstandsfähig in ihrer Störung. Sie sind einfach nicht gesund zu kriegen. Nur schwache Gestörte können gesunden. Widerstandskraft (Resilienz), ist bei den Gesunden gesund und bei den Gestörten krank. Dagegen ist die Verwundbarkeit (Vulnerabilität) bei den Gestörten gesund, aber bei den Gesunden krank. Also: Was den Gesunden krank macht, macht den Kranken gesund. In vielen Beziehungen spielt sich genau dieses Drama ab. Da ringt der Gestörte mit dem Gesunden um das richtige Medikament in der richtigen Dosis. Der Mediziner schaut zu und er würde es sich einfach zu leicht machen, wenn er das alles nur auf die Beziehung selbst schieben würde. Darin sind schon die Alchimisten gescheitert, die im Verhältnis selbst den Stein der Weisen vermuteten. Nur dumme Köche glauben, das verdorbene Fleisch sei nur schlecht gewürzt.

 

Streifschuss vom 25. Januar 19

 

Anlass: Es sind doch nur ein paar Hanseln, die mich kritisieren. - Otto Schily 2005

 

Aus dem Bauch heraus

 

Eine der großen Geiseln der Menschheit ist ja die Lüge. Da aber so wenig Menschen die Wahrheit kennen, hat die Lüge meist ein leichtes Spiel. Eine besondere Spielart des Menschheitsdramas um die Wahrheit hat in letzter Zeit eine gewisse Hochkonjunktur. Es sind die ungewollten Fürsprecher. Solche, die einem aus den falschen Gründen Recht geben. So ging es vor Kurzem dem ehemaligen Handball-Star Stefan Kretschmar, als er in einem Interview für t-online meinte, dass heute kaum noch ein Sportler eine kritische Meinung äußere, sondern meist im Mainstream. Daraufhin bekam er mit der AFD ungewollte Fürsprecher und stand plötzlich in der rechten Ecke. Kretschmar musste notgedrungen in den Rechtfertigungsmodus wechseln. Es ist ein medienpolitisches Lehrstück in vielerlei Hinsicht. Es war noch nie so, dass eine kritische Äußerung Begeisterungsstürme auslöst. Warum? Würde alle Welt meiner kritischen Äußerung zustimmen, wäre es dann nicht schon wieder Mainstream? Nehmen wir den einfachen Satz „Morgen geht die Sonne auf.“ In einer Welt der Skeptiker würde man mich für diesen Satz schelten. Er sei ein bloßer Erfahrungssatz, es gäbe keinerlei wissenschaftliche Grundlage Gewissheiten über die Zukunft zu äußern, selbst die Existenz der Sonne entspring nur einer konstruierten Vorstellung unseres Gehirns, das einfach nicht begreifen könne, dass die Karte nicht das Gebiet ist. Da wir aber in einer Welt leben mit hauptsächlich sehr gutgläubigen Menschen, sorgt der Satz „Das Universum existiert nicht“, für mediale Aufregung. Wir leben in einer Demokratie, mit einem Grundgesetz und dem darin in Artikel 5 garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung. Beleidigungen zu äußern oder kränkende Gerüchte zu verbreiten gehört nicht dazu. Wenn ich mit meiner Meinung die öffentliche Sicherheit gefährde, kommt auch die Polizei. Wenn ich an die Jugend rassistische Lehrbücher ausgebe, dann gilt das auch nicht als eine kritische Meinung. Was also meint Kretschmar wirklich? Auf welche Äußerungen von welchen Sportlern aus der Vergangenheit bezieht er sich? Und was findet die AFD eigentlich gut daran, wenn einer sich kritisch äußert? Sport ist leider nicht immer gesund. Vor allem leidet darunter unser wichtigstes Denkorgan. Das war jetzt eine kritische Meinung gegen den Mainstream. Denn nahezu keiner wagt es mehr zu behaupten, Sport mache uns krank. Aber ich darf das äußern. Wenn nun eine große Zahl Menschen empört meine Meinung zurückweist, mir Gesundheitsstatistiken vorlegt und die Wahrheit ins Feld führt, dann muss ich meine kritische Äußerung eben verifizieren. Das nennt man dann Diskurs. Und eine kritische Äußerung ist damit ein wesentlicher Faktor der gemeinsamen Urteilsbildung. Wer also den Wind sät, erntet gewöhnlich den Sturm. Was Stefan Kretschmar – wenn ich mal gutmütig sein Fürsprecher sein darf – kritisiert, ist die derzeitige Wetterlage. Vor allem die AFD furzt viel stinkende Luft in die Welt und reflexartig erzeugt jeder AFD-Furz einen Sturm der Entrüstung. Hier werden die diversen Fürze nicht mehr ausreichend differenziert. Wer heute einen Furz lässt, stinkt. Heute? Also nach meiner Meinung haben Fürze von jeher gestunken. Die Frage ist also eher, muss das raus? Stinkende Fürze, die Flatulenz, sind in der Medizin oft Vorbote einer Aszites (früher Wassersucht genannt). Erst der Wind, dann der Regen. Der Sturm vertreibt die Wolken. Wenn die Medien also auf jeden Furz hysterisch reagieren, dann ist das ein immunologischer Instinkt. Es bringt natürlich auch nichts, die Fürze zurückzuhalten. Da bläht sich nur der Bauch auf. In der Regel helfen so genannte Karminativa. Sie entspannen die glatte Bauchmuskulatur. Entspannung hilft.  Wer unter stinkender Flatulenz leidet, braucht dringend ein entspannendes Kamillenbad. Ob aber Bauchpinselei die AFD von ihren stinkenden Fürzen kuriert?  Ich fürchte eher, dass die AFD inzwischen ein systemisches Syndrom sind. Jeden Furz auf seinen Stinkegrad zu untersuchen, ist daher nicht mehr zielführend. In der alten Medizin gibt es die Whipple-OP. Da räumt man chirurgisch den Bauchraum großflächig aus. Leider ist die Überlebensrate nicht vielversprechend.
Kritik ist ein aus dem griechischen abgeleitetes französisches Wort. Ursprünglich bedeutet es „trennen“. Es geht also nicht um freie Meinungsäußerung, sondern darum, ob wir uns von gewissen Meinungen endlich trennen. Der Gegenbegriff zu Kritik ist das Lob. Lobet den Herrn oder wie Sie heißen.

 

Streifschuss

vom 15. Januar 19

 

Anlass: Ein privater Diskurs und eine Anregung aus den Medien

 

Wer hat schon Angst vor Hasen?

 

Neulich saß ich mit einer Freundin in einer Theaterlounge und die Freundin meinte, dass ich doch engagierte Literatur schreiben würde, dass ich etwas verändern wollte und auch um Wahrheiten kämpfte. Ich widersprach ihr leidenschaftlich. Da ich im Augenblick in dieser Theaterlounge eigentlich gar nichts wollte, gelang es mir gut, ihr und letztlich mir selbst zu widersprechen. So weit, so gut. Und gestern sah ich – von einem Seminar kommend - an der U-Bahnhaltestelle zum Odeonsplatz eine Werbetafel der Süddeutschen Zeitung mit dem Text: Gute Nachricht für die Demokratie: Die Wahrheit ist nicht verhandelbar. Während ich langsam weiter schlenderte, dachte ich, dass dieser Anspruch problematisch ist und vielleicht sogar die Demokratie gefährdet. Kaum hatte ich das gedacht, sah ich ein weiteres Plakat, auf dem ich folgenden Text las: Jenseits von richtig oder falsch gibt es einen Ort. Hier können wir uns begegnen. Dieser Satz des persischen Sufi-Mystikers Rumi bewarb ein Kinotheater. Der Widerspruch in den beiden Aussagen - auf den nur wenige Meter voneinander entfernten Werbetafeln - symbolisiert den zentralen Konflikt der spätmodernen Medienlandschaft. 

Aber weiter? Wie weiter? Schließlich glauben alle Leute es gäbe eine objektive Wahrheit. Trotz 300 Jahre Konstruktivismus seit Kant.

Jedenfalls passte es zu dem oben erwähnten Thema in der Theaterlounge. Und es passte auch zu dem Thema, das ich gerade zuvor im Seminarraum diskutierte: den Konflikt zwischen Sensualisten und Idealisten (so vor 200 Jahren die Bezeichnungen), die Sensualisten hielten das Hirn für ein Audienzzimmer (David Hume), das nur durch die äußere Wirklichkeit gefüttert wird,  und die Idealisten hielten die Wirklichkeit für ein nicht erkennbares Ding an sich (Kant), das vom Hirn konzeptioniert wird. Im 20. Jahrhundert gab es das auch, als Konflikt zwischen den Behavioristen und den Tiefenpsychologen. Die Behavioristen hielten das Gehirn für eine Black Box und der Mensch konnte nur an seinem äußeren Reaktionen auf Reize verstanden werden, während die Tiefenpsychologen hofften, dass Träume und Selbstkonzepte zu Erkenntnis führen könnten. Und heute gibt es das wieder zwischen den Konstruktivisten, die von Viabilität sprechen und damit meinen, dass wir uns die Welt passend machen und der Gruppe des „Neuen Realismus“, die von Sinnfeldern sprechen und glauben, dass es erkennbare objektive und subjektive Tatsachen gibt.

Ich würde sagen, dass jede Wahrheit ab einer bestimmten Komplexität dazu neigt, sich so oder so zu präsentieren. Und das ist echt ein Problem. Immer öfter weiche ich ab von meinen Prinzipien, weil ich Rumi verstehe und lieber eine Begegnungsstätte haben möchte, als eine scheiß Wahrheit. Es ist mir eigentlich egal, ob die Welt so ist oder so ist. So will ich die Welt auch nicht passend haben. Ich schreibe also gar nicht, weil ich um eine Wahrheit streite, sondern weil ich um Begegnung werbe. Alles daran ist also ein sublimierte Kommunikation und pure Lust am Gespräch. Und mit den Jahren werde ich auch biegsamer. Während also die somatische Arthrose fortschreitet, weicht der Geist auf, wird elastischer. So ist der finale Satz in Goethes Faust vom mystischen Chor „alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ kein konstruktivistischer Satz, sondern ein optionaler Möglichkeitsraum der Begegnung. Es ist eben dies das Schöpferische, dass wir uns im Ringen um die Wahrheit erst begegnen und sinnlich erfahren, um geistig zu wachsen.

 

Streifschuss vom 08. Januar 2019

 

Anlass:  Zitat zu lat. citāre „in Bewegung setzen, vorladen“, vgl. „jemanden vor Gericht zitieren“

 

 

 

Hauptstadt der Mythen

 

Ja formell betrachtet, ist selbst ein schlechter Einfall, wie er dem Menschen wohl durch den Kopf geht, höher als irgendein Naturprodukt, schrieb Hegel einmal in seinen Ästhetik-Vorlesungen zur Widerlegung einiger Vorwürfe gegen die Philosophie der Kunst. Nun verteidigt sich der unter dem Verdacht der Geschichtsfälschung stehende Robert Menasse nicht gerade hegelianisch. Aber mal ehrlich: Bevor Menasse Hallstein falsch zitierte, hat kaum noch einer an diesen alten, ersten EU-Kommissar gedacht. Dank Menasse und vor allem dank seiner Geschichtsfälschungen weiß wieder fast jeder, wer Walter Hallstein war. Damit rücken wir 60 Jahre zurück und bemerken, wie uns vor lauter unter den Teppichkehren der Vergangenheit in den ersten Jahren danach die Gegenwart entschlüpfte. Ja wo hat denn nun dieser Hallstein seine EU-Antrittsrede überhaupt gehalten? Hat er sie überhaupt gehalten…?  Lebt noch einer, der dabei war? Oder waren das schon damals alte, weiße Männer? Das allein sind schon Ansätze eines Streifschusses. Immerhin war Walter Hallstein, dieser erste EU-Chef Mitglied der NSV, der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und Mitglied des NS-Dozentenbundes (Quelle: Ernst Klee Personenlexikon zum Dritten Reich). Klar war Hallstein kein strammer Nazi. Aber er war auch kein Widerstandskämpfer. Als er gestern vor 61 Jahren zum Präsidenten einer noch kleinen EU wurde, wurde er zum Chef einer Wirtschaftsorganisation zur Förderung von Kohle und Stahl. Mehr war das alles nicht. Ein schöner Traum von Robert Menasse, Europa als Antwort: Nie wieder Ausschwitz. So funktioniert Aufklärung. Mythen zerschellen an den banalen Realitäten. Was die Kunstmenschen von je verzweifeln lässt. Denn Mythen gründen gehört zum Geschäft der Kunst. Und zum Teil sind die Kunstmenschen selbst die Zerstörer ihrer eigenen gebastelten Mythen. Also: Europa ist keine Supranation zur Verhinderung böser Nazis, sondern schlicht das, was es eben ist. Eine Organisation zur Steuerung nationaler Interessen. Das macht Europa als Institution nicht weniger wichtig. Die Frage ist also: Brauchen wir solche Mythen die uns die Welt erklären? Oder genügt uns schlicht die Welt als Erklärung? Menasse ist insofern ein Bauernopfer im Diskurs des schon lange tobenden Streits zwischen Göttern und Menschen. Walter Hallstein war kein Gott. Europa war keine phönizische Königstochter, die Zeus in der Gestalt eines Stiers nach Kreta entführte. Auch im Abendland (phönizisch „erob“ für Abend, Westen) geht jeden Morgen die Sonne auf. Es klart auf und wir sind aufgeklärt.

 

Streifschuss vom 07. Januar 2019

 

Anlass: Der erste seiner Art vor zehn Jahren verfasst

 

Schlicht und einfach:

„Glosse“ genannt

 

Stellen Sie sich vor, wir wären alle Millionäre. Ihr Nachbar: Millionär, ihr Bäcker: Millionär, sogar ihr Postbote, ihre Putzfrau, der Mann der eben auf dem Gerüst vor ihrem Haus steht und die Außenwände streicht, alles Millionäre! Tolle Vorstellung. Wir müssten alle sehr glücklich sein, oder? Am Morgen stehen Sie auf und wollen in die Arbeit gehen. Aber irgendwie fehlt ihnen der Antrieb. Warum? Sie sind doch Millionär, was jammern Sie rum? Ihr Chef ist auch Millionär! Ihre Sekretärin? Auch Millionär. Irgendwie ist eine Lähmung eingetreten. Der Bäckerladen hat längst geschlossen: Für unbestimmte Zeit verreist, steht an der verrammelten Tür. Der Postbote kommt nur gelegentlich und wenn er kommt, ist er irgendwie mürrisch. Der Rotaryclub Deutschland feiert etwas lethargisch, die Clubmitglieder innerlich ausgebrannt, man spricht schon vom Millionärs-Burnout. Deprimiert sitzen Sie an Ihrem reich gedeckten Frühstückstisch. Der Ferrari vor der Garage? Lange nicht mehr bewegt. Was soll's. Das Kaviarbrötchen schmeckt fade. In die Oper? Keine Lust. Die Golfschläger? Alle im Keller verstaut. Zero coping mechanism, stöhnen Sie, schalten das Radio ein und hören nun die überraschenden Nachrichten.

 

Gott sei Dank: Es war nur eine Horrorvorstellung. Deutschland ist in Wirklichkeit ein armes Land! Weit entfernt davon, dass wir alle Millionäre wären. Die Stimme des Nachrichtensprechers beruhigt Sie: Auf dem "human development index", den die Vereinten Nationen herausgeben und der den Entwicklungsstand eines Landes anzeigt, liegt Deutschland nur auf Platz 19. Weit, sehr weit hinter Norwegen, einem kalten, deprimierenden Land mit einem der höchsten Prokopfeinkommen, ein Land in dem man Bokmal und Samisch spricht und die Hauptstadt grade mal 500.000 Einwohner hat.

 

Wirklich? Ist das nicht herrlich?, sagen Sie und beobachten, wie das Kaviarbrötchen zum Marmeladetoast wird, der Ferrari zur Monatsfahrkarte der U-Bahn, die Golfschläger im Keller zu alten, unbrauchbaren Ikeabrettern. Sie lächeln nun, von wegen Opernkarte, nicht mal Kino ist zur Zeit drin. Sie stehen auf und gehen nun doch beschwingt, sehr beschwingt zur Arbeit.

Dem Herrn sei Dank: Sie sind arm, aber glücklich. Die Sache mit den Millionären war

eben nur ein böser Alptraum, den man am Morgen dann noch in den Gliedern spürt.

Arme reiche Norweger, denken Sie noch, als Sie in die U-Bahn steigen. Sie wissen noch nicht, dass heute sogar Ihr Glückstag ist! Ihre Kündigung liegt bereits auf dem Tisch ihres Chefs. Ihr Chef ist Millionär und zieht nach Rumänien. Der arme Kerl denken Sie, schließlich haben Sie den Alptraum noch gut in Erinnerung.

Good old Germany - arm aber glücklich.

 

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